Text: Julian Neckermann, 27. September 2017

Irgendwie ist es eine Krux mit dem neuen Doppel-Album der belgischen Stummfilm-Post-Rocker We Stood Like Kings. Widmenten sie sich auf ihren ersten beiden Werken noch Filmen, die, wenn sie überhaupt noch erinnert werden, nicht wegen ihrer Soundtacks noch in den Köpfen einiger Filmbegeisteter als Gespenster einer längst vergangenen Ära spuken (wobei sich Michael Nyman vier Jahre zuvor, 2011, an einem neuen Soundtrack zu Vertovs „Ein Sechstel der Erde“ versuchte). Diesmal ging es ans Eingemachte und sie trauten sich mit „USA 1982“ an „Koyaanisqatsi“ heran, der eben nicht nur für seine beeindruckenden visuellen Aufnahmen, sondern auch oder vielleicht gerade wegen der Musik von Philip Glass zu den fünf wichtigsten Filmen der Gegenwart zählt – zumindest wenn man dem Filmwissenschaftler James Monaco glauben mag.

Und da liegt die eingangs erwähnte Krux: Kennt man das Ausgangswerk, müssen sich We Stood Like Kings daran messen lassen – eben weil der Film den jungen Musikern nicht nur als Inspiration für einige Motive, Zitate etc. gedient hat, sondern sie explizit für ihn noch einmal originär komponiert haben. Oder man kennt es nicht – dann bleibt die Frage, ob das Songwriting über knapp 90 Musik die Spannung halten kann und die Musik auch abgelöst vom Kontext funktioniert.

Herausgekommen sind also zwei Scheibchen, die sich passgenau über die gesamte Filmlänge legen lassen. Und das funktioniert ganz gut. Post-Rock typisch wird viel mit laut/leise Kontrasten gearbeitet, wobei hier vor allem das Piano im Bandgefüge Erwähnung finden soll, da gerade dieses es immer wieder versteht, die Bilder in ihrer Dramatik zu ver- und betonen. Das fällt besonders auf, wenn man den Anfang jeweils mit dem Originalsoundtrack und der neuen Interpretation vergleicht.

Das Piano von We Stood Like Kings hat etwas traumwandlerisches, beflügeltes, das wohlklingend von den Fremont-Felszeichnungen zu dem in Zeitlupe ablaufenden Triebwerksstart einer Saturn-V-Rakete hinübergleitet, bis schließlich in einem Crescendo aus Bass und Gitarre die Abkopplung der Rakete vollzogen wird und somit der erste Höhepunkt auszumachen ist. Mit dem nächsten harten Schnitt weichen die vorangegangen, diffusen Klänge der strukturgebenden Rhythmik des einsetzenden Schlagzeugspiels. Das alles klingt weit und schon ein wenig episch – passend dazu die Bilder von beeindruckend schönen Felsformationen aus großer Höhe, als flöge man körperlos über unsere Erde. Im Vergleich dazu hat Glass’ Musik mit der in Bass mantrisch intonierten Wiederholung des Wortes „Koyaanisqatsi“ und der Instrumentierung einen sehr spirituellen Anstrich – sie bleibt gleichförmig, nur kleine Nuancen verändern sich und ein Höhepunkt, der mit dem Raketenstart zusammenfällt, bleibt aus.

Und irgendwie liegt genau hier der Unterschied in der Qualität der Musiken. Glass’ Komposition ist eine eigene Bedeutungsebene inhärent, sie transportiert zwingend eine Lesart der Bilder, während die Neuinterpretation Begleitmusik bleibt. Glass versteht es verschiedenste Blasinstrumente, Keyboards und Synthesizer so zu arrangieren, dass sie in einem Moment wie – um diesen Begriff zu bemühen, weil man sich dann vielleicht am besten was darunter vorstellen kann – Ethno-Musik, im nächsten wie Kirchenmusik und wieder in einem anderen futuristisch und damit zeitlos klingen. Hingegen entspricht die Instrumentierung bei We Stood Like Kings doch eher der einer klassischen Rockgruppe – Gitarre, Bass, Schlagzeug und – ja ok – ein Piano.

Damit ist das Album der Belgier immer noch weit davon entfernt schlecht zu sein – dafür haben sie zu viele gute Ideen, setzen Akzente, die immer wieder aufhorchen lassen und man kann sich den Emotionen hingeben, die die Musik von sich aus hervorruft. Genau da könnte man prima einen Perspektivenwechsel vollziehen und sich fragen, ob die Musik von Glass auch ohne Film funktioniert. Für mich tut sie das unglaublich gut aber ich kenne den Film auch zu genüge. Jemand der den Film nicht kennt, wird das Ganze aber womöglich etwas ermüdend finden. Da liegt wiederum eine Stärke von „USA 1982“ – auch ohne Film finden sich richtig schöne, aufwühlende Stücke, die einen ganz eigenen Streifen im Kopf des Zuhörers zum Laufen bringen.

Nur – das sei noch gesagt – erweist sich dann die Länge der Aufnahme (die sich eben daraus ergibt, dass sie eigentlich für den Film gedacht ist) als kleiner Stolperstein. Gerade der zweite Teil kann die Qualität des Ersten nicht mehr ganz halten. Nichtsdestotrotz eine mindestens hörenswerte Veröffentlichung und ein mutiges Unterfangen allemal.

07.10.2018 Taufkirchen – Kinocafe
08.10.2018 Regensburg – Ostentor Kino
09.10.2018 (AT) Salzburg – Das Kino
10.10.2018 (CH) Winterthur – Gaswerk Kulturzentrum
23.02.2019 Neunkirchen – Stummsche Reithalle

VÖ: 22. September 2017 via Kapitän Platte