Text: Christian Selzer, 15. Mai 2020

Ob Ben Lukas Boysen in der Schule oft Prügel angedroht wurde, ist uns nicht bekannt. Das Zeug zum Streber hat er aber allemal, so ehrgeizig wie der Wahlberliner seine musikalische Karriere verfolgt. Ambitionierter als ein Feriencamp bei „Jugend forscht“ schraubt Boysen im Homestudio Genres auseinander, um sie anschließend neu zu verlöten. In seinen Sounds trifft Neo-Klassik auf Electronica, Glitch und Ambient auf IDM. Daneben komponiert er Soundtracks für Filme und Videogames und wird dafür auch schon mal für den Oscar nominiert. Und wenn Boysen gerade einmal nicht an eigenen Sounds tüftelt, forscht er am „Brainwaves”-Projekt zu den Verbindungen zwischen Klang und Bewusstsein.

Auf seinem dritten unter eigenem Namen veröffentlichten Album „Mirage” versucht Boysen gar nicht erst, dem Teufelskreis der Perfektion zu entkommen. Diese Aufgabe lässt er Gastmusiker übernehmen. Zwischen knisternden Beats und nebulösen Soundaufschichtungen sorgen die Cellistin Anne Müller und der Komponist Daniel Thorne für die nötige Erdung. Zwar dreht Boysen die beiden so lange durch den digitalen Bithäcksler, bis ihre Melodien bis zur Abstraktion verfremdet sind. Trotzdem bilden sie innerhalb der Songs den zentralen DNA-Strang, um den herum sich konträre Pole zu faszinierenden Klangcollagen verbinden. Soundästhetisch spielt Boysen damit in einer Liga wie Jon Hopkins oder Max Cooper. Doch solche Vergleiche hat dieser gar nicht nötig: „Mirage” verdichtet technisch versiertes Nerdtum mit eingängigen Melodien zu atmosphärischen Klanguniversen – und trägt damit eine ganz eigene Handschrift.

VÖ: 01. Mai 2020 via Erased Tapes