Text: David Maneke, 01. Februar 2019

Im künstlerischen Mikrokosmos von Boy Harsher wird eine drastische Bildsprache gesprochen. Ästhetisch düster und mit wirkmächtiger Bildlichkeit versehen, fräst sich die sinistre Fantasiewelt der beiden Musiker durch die Realitäten der Rezipienten und wirkt umso mächtiger, umso fröhlicher deren Welt scheint. Boy Harsher sind eine gewaltige Stimme für diejenigen, die ihren Weltschmerz in künstlerisch anspruchsvollen Hüllen verpacken wollen.

Und die Band gibt sich nicht viel Mühe, das irgendwie zu verschleiern. Dem nicht vollkommen abgeneigten Hörer könnte dies womöglich nicht entgehen, sobald/sofern er die Videos zu den im Vorfeld veröffentlichten Singles einen kurzen Moment seiner werten Aufmerksamkeit schenkt. Der Protagonistin im Video zu „Face The Fire“ sieht man beim verzweifelten Kampf um den Ausbruch zu, nur um sie schließlich gescheitert zu sehen; im Video zu „Fate“ kann eine andere Protagonistin ihrem Schicksal schon gar nicht entrinnen; und im jüngsten Video „LA“ schaffen es zwei halbstarke Mädchen natürlich auch nicht, der Welt in der sie leben genug entgegen zu setzen um sie verlassen zu können. Überhaupt ist „Careful“ ein Kommentar über Ohnmacht. Mit bitterböser Konsequenz geben Boy Harsher dem Phänomen einen Soundtrack von monoton wummernden und klirrend kalten Synthesizer/Drum machine Kompositionen.

Abgetötet ist der Kosmos, den Boy Harsher auf „Careful“ haben entstehen lassen. Und das ist auch richtig stimmig so, denn die Platte ist beileibe keine Besinnung auf die einfache Menschlichkeit, wie sie derzeit sowohl als Motiv, als auch als gemeinsamer Nenner der Kritik als Metaphänomen im Großraum Popmusik eine bedauerliche Popularität genießt. Aber hier liegt dann auch die handfeste Distinktion von Boy Harsher, die mit diesem in Musik gefassten stückweisen Abschied von sozialem menschlichen Leben als Norm, den die Band auf ihrem ersten Album angefangen hat und nun fortschreibt, all jene ins Leere laufen lässt, die sich aufgrund normierter Verpflichtung zum Guten wenden wollen. Und da liegt eine subtile Paradoxie von „Careful“: ein Album über Ohnmacht, kein Happy End, ist dann halt doch intellektuell um ein vielfaches eigenständiger als vieles anderes.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Boy Harsher wirklich nur mit der Intention angetreten sind, 95% der – im ganz angestaubt klassischen weiten Wortsinn – Pop- bzw. U-Musik einen fröhlich wundgeküssten Mittelfinger ins Gesicht zu halten. Aber im Gegensatz zu vielen die es darauf anliegen, gelingt es Boy Harsher. Die Musik ist manchmal isoliert betrachtet ein wenig gleichförmig, die Texte manchmal für sich genommen ein bisschen zu weinerlich, aber die Attitüde der Band schimmert jede Sekunde durch. Und das macht „Careful“ zu einem guten Album in diesem Frühjahr und zu einem Glanzstück performter Kulturkritik.

01.06.2019 Neustrelitz – Immergut Festival
28.06.2019 Laerz – Fusion Festival
06.11.2019 Frankfurt – Zoom
20.11.2019 Köln – Luxor
21.11.2019 Hamburg – Molotow
03.12.2019 Berlin – Festsaal Kreuzberg
04.12.2019 Leipzig – Conne Island
05.12.2019 München – Ampere

VÖ: 01. Februar 2019 via Nude Club Records