Text: Julian Neckermann, 18. Januar 2018

Grimmig, grimmig… nein, wartet, ich lass mich nicht schon wieder auf exzessive Wortspielereien ein. Außerdem wurde schon hinlänglich auf die Namensverwandtschaft verwiesen, da kann sich jeder was drunter vorstellen – böser Wolf etc. pp. Stichwort „Böser Wolf“ – gar nicht mal so unpassend wenn man sich Dennis Grimm anschaut. Böse Zungen hingegen würden von einem Zausel sprechen – zauselig ist auch die Musik auf „Home Today, Gone Tomorrow“ (drei Gedankenstriche UND ein neu erfundenes Wort bei so wenig Text – neuer Rekord).

Da hat jemand die Melancholie mit Löffeln gefressen und dem stimmlichen Ausdruck nach, mit dem Brother Grimm sein Innerstes nach außen stülpt, könnte man meinen ein, von der Last seiner tonnenschweren Sorgen gebückter Greis, der dem Tod praktisch schon ins Auge sieht, bedient sich wirklich gekonnt der Klaviatur des lärmigen, sumpf-modrigen Blues.

Es dröhnt, wabert und pocht ganz wunderbar zum Beispiel bei „The Black Lodge“ – schließt man die Augen sieht man sie vor sich, diese dunkle Hütte, umgeben von einem morastigen Garten, umrankt von Obstbäumen zu deren Stämmen die matschig-faulig und durchwürmten Früchte liegen und ein süßlicher Leichengeruch steigt einem in die Nase. Brother Grimm versteht es dabei immer wieder mit repetitiven, geloopten Strukturen einen Sog in die Finsternis zu erzeugen, dessen unheilvolles Stampfen im wirklich gelungenen „Aloha“ von scharfen Saxophontönen durchschnitten wird – angenehm ist wirklich anders. Das Album schließt dann auch nicht versöhnlich: Im Titelsong hören wir einen verzweifelt klagenden, von seinen Leidenschaften Getriebenen – was gibt es schlimmeres, als aufbrechen zu müssen; seiner Heimat beraubt zu werden? Und nachdem die vermeintlich letzten Töne erstorben sind, hebt der grimme Bruder nochmal an und gibt einzelne Strophen David Bowies‘ „Heroes“ zum Besten – begleitet von einem steten, bedrohlichen Brummen, immer wieder durchrissen vom chaotischen Plärren der Gitarre. Der Text ist der einer verlorenen Seele, deren einziger Traum es ist, sich den Weg mit seiner Liebe freizuschießen – die Liebe ist schon Tod und die Blumen zerfallen auf der fauligen Brust zu Staub.

Die Hoffnung bleibt aus, für unseren Protagonisten nimmt es kein gutes Ende. Aber das macht die Faszination des Album aus: Was ist es eigentlich, was uns so zum Düsteren, Tragischen und Hässlichen zieht? Irgendwie muss ich beim Hören der grimmschen Musik stets an Charles Baudelaire denken, weshalb ich mit einem Ausschnitt aus „Ein Aas“ schließen will:

[…] Die Fliegen hörten wir summend das Aas umstreichen
Und sahn das schwarze Heer
Der Larven dichtgedrängt den faulen Leib beschleichen,
Wie ein dickflüssig Meer.

Und alles stieg und fiel aufsprudelnd, vorwärtsquellend
Nach Meereswogen Art,
Fast schien’s, als ob dem Leib, von fremdem Leben schwellend,
Tausendfach Leben ward.

Und seltsame Musik drang uns von da entgegen,
Wie Wind und Wasser singt,
Wie Korn, das in dem Sieb mit rhythmischem Bewegen
Die Hand des Landmanns schwingt.

Die Formen ausgelöscht wie Träume und Legenden,
Entwürfe stümperhaft,
Die halbverwischt die Hand des Künstlers muss vollenden
Aus der Erinnrung Kraft. […]
(Baudelaire, Charles: Die Blumen des Bösen. Übers. Terese Robinson, Zürich: Diogenes, 1982, S. 54f.)

Nachstehend die Termine der ausgiebigen Tournee des Herrn Grimm:

18/01/2018 Hamburg – Knust
19/01/2018 Hamburg – Michelle Records
24/01/2018 München – Strom
25/01/2018 Leipzig – Black Label
26/01/2018 Quedlinburg – KUZ Reichenstraße
27/01/2018 Karlsruhe – Kohi
01/02/2018 Fulda – Kulturkeller
02/02/2018 München – Feierwerk
03/02/2018 (CH) Luzern – Treibhaus
23/02/2018 Berlin – Badehaus (Records Release)
24/02/2018 Großhennersdorf – Kunstbauerkino
09/03/2018 Weimar – Kasseturm
10/03/2018 (CH) Rorschach – Treppenhaus
11/03/2018 Freiburg – Slow Club
15/06/2018 Mannheim – Maifeld Derby

VÖ: 26. Januar 2018 via Noisolution