Text: David Maneke, 09. Dezember 2019

Seit ein paar Jahren kommen wir in den (meiner bescheidenen Ansicht nach zweifelhaften) Genuss, immer mehr deutschsprachigen Nonsens-Pop durchs Radio dudeln zu hören – so traut man sich auch mal (gewagt, gewagt) „geil“ im Radio zu singen; Deutsch ist nicht mehr nur die Sprache von Knüppelpunks oder Offenbacher Rappern, sondern ganz schön angekommen in der Mitte der Radio-Gesellschaft. Was früher einzelnen Interpreten und Schlagerfuzzis vorbehalten war, so darf spätestens seit Mias hungrigem Herz jeder deutsch singen ohne Angst um seine Reputation haben zu müssen.

Nun ist am Deutschsingen per se ja gar nichts auszusetzen. Gerade im Bereich der radiofreundlichen Popmusik ist es ja aber doch auffällig häufig mit größter Entspannung zur Schau getragen. Und von „Deutsch singen kann cool sein“ ist es nicht immer ein weiter Weg zu „Deutsch sein kann halt auch ganz cool sein“. Man denke an die elendige Debatte um die eben genannte Band Mia und den „entspannten Umgang mit Nationalität“. Müßig das zu sagen, aber doch wichtig fürs Protokoll: für den überwältigenden Teil deutschsingender Künstler trifft diese schon arg einfache Argumentation nicht zu. Aber nichtsdestotrotz: die Debatte gab und gibt es. Und auf einmal kommt ein in München lebender Kulturanthropologe unter dem Künstlernamen Fehler Kuti dazu, synthetisch-experimentellen Kraut zu fabrizieren, das Ganze auch noch „Schland Is The Place For Me“ zu nennen und dabei theoretisch und konzeptionell gegen diesen ganzen Nationalitäts-, Herkunfts- und Heimatmist zu Felde zu ziehen.

Das Werk ist vordergründig auf Fehler Kutis Lebenszentrum München ausgerichtet, aber es ist kein Album über die Stadt. Vielmehr handelt es sich bei der Platte um eine theoretisch fundierte, argumentativ subtile, aber eindeutige und kontextfreie – wohl nicht in Gänze zu erfassende – Ablehnung des semantischen Feldes „Heimat“. Der theoretische Impetus ist nicht wahnsinnig neu; und selbst das letzte Aufflackern der Debatte ist nicht mehr so ganz tagesaktuell. Aber Hey – das Thema ist ja nun freilich nicht durch. Der Begriff „Heimat“ ist so salonfähig wie schon lange nicht mehr und genau deshalb ja gerade so toxisch. Und wie viele Massenunterhalter berufen sich schon immer (Gabalier) oder zunehmend verstärkt (Naidoo) auf die eigene Heimat, glorifizieren sie, vereinfachen komplizierte Diskurse um eine bequeme Haltung zu finden. Sie katalysieren das, was ehedem eher völkisch-rechten Kreisen eigen war (die jeder Mensch bei einigermaßen klarem Verstand gemieden hätte), in eine nur scheinbar mutige und selbstbewusste (so der Euphemismus) ungute Selbstverständlichkeit.

„Schland Is The Place For Me“ ist das Gegenangebot. Im Grunde ist der Kerngedanke des gesamten Albums exzellent in einem Satz des Promo-Textes zusammengefasst: „SCHLAND IS THE PLACE FOR ME is a pop album featuring songs of alienation, not only as a tragic experience, but as a pop-cultural promise.” Lassen wir einmal die definitorische Spitzfindigkeiten bei Seite, ob das Album nun experimenteller Pop oder poppige Experimentalmusik sei (so wie es die taz fragt) – so steht darüber doch die Feststellung, dass Pop sich nun mal der Gesellschaft widmet, in der Heterogenität wie sie uns umgibt. Etwas weitergesponnen: vielleicht auch lieber Impulse aus einer Avantgarde zieht (selbst wenn sie irgendwie anachronistisch, weil irgendwo hinter den großen Zeiten von Can etc. verendet, daherkommt), als aus allzu traditionellen musikalischen dimensionieren.

Oder grobschlächtig vereinfacht: Pop, der sich aus Volksmusik entwickelt, ist laut Fehler Kuti eigentlich eine Unmöglichkeit, weil die Referenzräume nun einfach nicht zusammen gehen wollen. Aus der Entfremdung zieht „Schland Is The Place For Me“ einen Gutteil seiner Konzeption; und zwar eben nicht als Klage, sondern als Alternative. Es ist nun mal unser Selbstverständnis als interessierte Musikhörer, was uns gemeinsam zu „Schland Is The Place For Me“ einen rauchen lässt, und nicht unsere Herkunft, denn die juckt hier gar niemanden.

Das deprimierende ist: es tut unglaublich gut, dass das mal wieder jemand so deutlich zur Schau trägt. Wenn ich so darüber nachdenke, kommt es mir so vor, als sei das schon mal selbstverständlicher gewesen. Und sicher – „Schland“ wird wohl eher kein Chartstürmer. Aber der theoretische Impuls, der von diesem musikalisch sehr eigenartigen Album ausgeht, ist immens. Wünschenswert, dass darüber ein bisschen gesprochen wird.

14.12.2019 München – Alien Disko IV

VÖ: 06. Dezember 2019 via Alien Transistor