Text: Nils Hartung, 29. März 2019

Wie zum Donner umarmt man einen Monolithen? Wir wissen nicht, ob diese Frage tatsächlich in Beth Gibbons Kopf aufploppte, als sie zwischen Soundcheck und Portishead-Show beim Sacrum Profanum Festival in Krakau gefragt wurde, ob sie nicht Góreckis „Symphony Of Sorrowful Songs“ mit einem wundervollen Orchester im Rücken singen wolle. Was wir wissen ist, dass Gibbons jedes ihrer künstlerischen Projekte, ob musikalisch oder cineastisch, stets mit unbändiger Akribie verfolgt. Dabei rüttelte die Engländerin immer wieder an ästhetischen Konventionen, um bekannte Deutungsmuster neu denken zu lassen.

Nun stellt sich die Frage, ob es möglich ist, einem oft gespielten Flaggschiff der zeitgenössischen Orchestermusik noch frische Impulse hinzuzufügen? Um diesem Anspruch gerecht zu werden mussten gleich mehrere Klippen umschifft werden. Der wohl größte Brocken war die Sprache. Damit sie dem polnischen Text der Klagelieder umfänglich gerecht werden konnte, probte Gibbons stets mit einem Partitur-Triptychon aus Originaltext, Lautschrift und englischer Übersetzung.

Die zweite Herausforderung lag im Gesang. Nach klassischen Kriterien kommt Gibbons Stimme eher dem Mezzosopran nahe. Górecki schrieb seine dritte Symphonie aber für eine klassische Sopranstimme. Gibbons setzte sich deshalb intensiv mit den Techniken für Operngesang auseinander und fand schließlich einen Weg erworbene und eigne Klangfarbe ineinander fließen zu lassen. Zwar braucht es im ersten Satz fast 12 Minuten bis wir Beth zum ersten Mal singen hören, aber schon die ersten Tönen zeigen eindrücklich, wie tief Gibbons die Musik von Górecki in sich aufgesogen hat. Die Grenzverwischung von Opern- und Popgesang führt dazu, dass besonders der berühmte zweite Satz, ein Gebet an der Wand einer Gestapo-Zelle, Gebrochenheit und Erlösung im selben Moment erzeugen kann.

Am Ende ertönt brandender Applaus und man verlässt den Konzertsaal in Warschau mit der alten, aber schönen Gewissheit, dass einer Ausnahmekünstlerin wie Beth Gibbons einfach alles gelingen kann. Und ganz nebenbei gerät auch noch die ohnehin kritisch zu beäugende Grenzziehung zwischen U- und E-Musik gehörig ins Wanken. Absolut meisterlich!

VÖ: 29. März 2019 via Domino Records