Text: Tim Brügmann, 07. August 2020

Er ist ein rastloser Wanderer, neugieriger Grenzgänger und eine imposante Erscheinung. Evan Patterson hat die reichhaltige Hardcore-Szene in Louisville Kentucky geprägt wie nur wenige. Sei es mit Bands wie Breather Resist, Black Cross oder den auch in Übersee geschätzten Young Widows. Unter dem Namen Jaye Jayle hat sich der Hüne aus dem Bluesgras State ein Alter-Ego erschaffen, das ihn an die entlegensten Orte führt, musikalisch wie geographisch. Nun legt er via Sargent House mit „Prisyn“ nicht nur sein drittes Album unter jenem Namen vor, sondern geht auch ein spannendes Risiko ein.

Eingesperrt in den Unbequemlichkeiten einer ellenlangen Tour mit über 200 Shows, die er hauptsächlich als Backing-Band seiner mittlerweile Ehefrau Emma Ruth Rundle, aber auch mit den Young Widows und Jaye Jayle bestritt, reichte zunächst ein iPhone 8 und die neueste Version von Garage Band aus, um den Grundstein für eine Stilwandlung zu setzen. Statt bluesgetränkten Southern-Goth-Americana, der noch die beiden Vorgänger brillieren ließ, wird Patterson auf „Prisyn“ zum Vampir und hüllt sich Layer um Layer in elektronisch minimalistische Fieberträume.

Komplize bei dieser Gradwanderung zwischen Licht und Dunkelheit ist Ben Chisholm, der sich vor allem dank seiner Zusammenarbeit mit Chelsea Wolfe einen Namen gemacht hat. Gemeinsam mit ihm tauschte Patterson Ideen aus, sendete Entwürfe hin und her und ließ sich schließlich zu einem vollwertigen Album überreden. „Songs for Iggy“ sollte es zunächst heißen, getreu einem Traum Pattersons, bei dem die Punk-Ikone zufällig auf das Album aufmerksam wird und schließlich seinen Gesang beisteuert. So zählt Patterson auch dessen Meilenstein „The Idiot“ zu seinen größten Einflüssen. Zwischenzeitlich war sogar Daughters-Frontmann Alexis Marshall im Gespräch bis Patterson schließlich selbst zum Mikrofon griff und wieder einmal David Lynchs musikalisches Mastermind Dean Hurley mit dem Mix betraute.

Geprägt von seinem Interesse an Bands wie Neu!, Can und DAF, sprich allem, bei dem Produzenten-Legende Conny Plank seine Finger im Spiel hatte, entdeckt Patterson auf „Prisyn“ eine neue Musikalität. Wer sich beim ersten Hören an frühe Nick Cave Glanztaten erinnert, hört kurzdarauf auch Einflüsse von Bands wie Portishead, Massive Attack oder gar den Nine Inch Nails heraus. Dabei werden Begebenheiten, die Patterson in Berlin („The River Spree“), Paris („Guntime“) oder vor der eigenen Haustür in Louisville („Don’t Blame the Rain“) erlebt hat, in tanzbare bis elegische Fieberträume gegossen. Wohlklingende Drone-Passagen und rumpelnde Synthie-Beat-Türme treffen ebenso aufeinander wie Goth-Ästhetik, Industrial Ambience und leere Whiskeygläser. Lediglich etwas mehr Kohäsion hätte dem Album zum Ende hin gut getan.

Doch geradezu prophetisch skizziert Patterson eine Welt, die von Desorientierung, Beklemmung und Unsicherheit geprägt ist. Ein Gefängnis des Unstetigen und somit unheimlich nah dran am Jahr 2020, für das dieses Album geschrieben worden zu sein scheint. Wer eine konsequente Fortsetzung des Jayle-Sounds erwartet, wird sicher enttäuscht bis vor den Kopf gestoßen sein. Doch wer auf Wanderschaft in elektronisch-cineastische Grenzgebiete gehen will, wird Gefallen finden an des Teufels neun Sounds.

„Priysn“ wurde auf der Straße geschrieben, zwischen endlos langen Fahrten und surrealen Begebenheiten auf Tour durch Europa und die nicht mehr ganz so Vereinigten Staaten. Es ist unangenehmer Stoff, der nicht zum Genießen einlädt und doch nehmen einen Jaye Jayle mit auf kontemplative Spaziergänge oder auf die Autobahn unter freiem Himmel mit schwerem Gemüt. Dieses Album ist ein unbequemer Ritt, aber er lohnt sich. „Prisyn“ hypnotisiert, fasziniert und steht sinnbildlich für den Wunsch nach künstlerischer Freiheit.

VÖ: 07. August 2020 via Sargent House