Text: Nico Beinke, 18. Mai 2020

Country und Folk sind amerikanische Volksmusiken im eigentlichen Wortsinne. Liedgewordene Traditionen voller Mythen und ein Teil der Geschichte des Landes, wie wir sie schon seit den Byrds, den Flying Burrito Brothers, oder während „Blood on the Tracks“ von Bob Dylan kennen. Die deutsche Volkslied-Tradition hingegen wurde zwischen 33 und 45 vergewaltigt und praktisch für alle Zeiten vergällt. Und Truck Stop haben hierzulande sicher nicht dazu beigetragen, einen klaren Blick auf den amerikanischen Country zu erhaschen, der auch abseits von Nationalstolz, Fernfahrer- und Cowboyromantik seinen Charme nie zur Gänze verloren hat. Country ist seit jeher ein fester Bestandteil des amerikanischen Mainstream und steht nicht zwangsläufig im Gegensatz zur vermeintlich aufgeklärten, populären Gegenwartsmusik, sondern bewegt sich mitten in ihr, in friedlicher Koexistenz.

Jess Williamson bringt zusammen, was längst zusammengehört: Pop, Country und Folk. Gemeinsam mit mit einer Prise Westcoast-Psychedelia, die an ihre Label-Maids der Allah-Las auf Mexican Summer gemahnt, scheint die Texanerin für ihr zweites Album „Sorceress“ eine erhaltenswerte Mixtur gefunden zu haben. Jedenfalls erhält sie die elf Tracks für einige Durchläufe am Leben, bevor das Album in den Fundus für Hintergrundbeschallung übergeht. Was vielleicht abwertend klingt, ist gar nicht abwertend gemeint. Auch Sonntagvormittage brauchen ihren Soundtrack, oder begleitend zu einem guten Buch ist „Sorceress“ herzlich willkommen zu verweilen. Gute Gäste sind gern gesehen.

VÖ: 15. Mai 2020 via Mexican Summer