Text: Bernd Skischally, 14. Oktober 2019

Sage keiner, langhaarige Rocker-Typen mit Schlaghosen im Schrank könnten niemals mit den Algorithmen der Streaming-Plattformen mithalten. Kadavar widerlegen diese Behauptung eindrucksvoll, scheinen sie ihre Fans doch besser zu kennen als die sich selbst. Das zeigen die kürzlich in Berlin veranstaltete Record-Release-Party im Baracken-Club „Zukunft am Ostkreuz“ und die dazugehörige Platte.

Zur Partybespaßung geladen: die Hipster-Garage-Combo Odd Couple (mit Schnauzbart), der Vorstadt-Zöpfchen-Rapper Romano (mit Kutte) und Thrash-Metaler Space Chacer (mit Spandex). Von verstaubtem Szenegehabe also keine Spur. Style-Sumpf ist trumpf. Und was sagen die leder- und jeansbejackten Fans (mit Patch) zu all dem? Nachdem sie sich geduldig und gut erzogen in einer sehr langen Schlange aufgereiht hatten, um an die raren Eintrittskarten zu kommen, feierten sie das Riffs’n’Beats & Bumms-Programm bierschüttelnd und fröhlich weg, wie es gerade aufgetischt wurde. Spätestens als sich die Gastgeber selbst noch kurz die Live-Ehre gegeben hatten, labten sich dann alle gemeinsam am sehr großen Gaben-Tisch (mit Merchandise). Auch da wissen Kadavar bestens Bescheid.

Mit nach Hause nahm man: „For the Dead Travel Fast“, das fünfte Studio-Album des Berliner Trios. Es wirkt – wie schon Kadavars 2012er Debüt und die 2015 erschienene, nach der Hauptstadt benannte dritte Platte – wieder bis ins letzte Detail ausgefuchst, ohne gleich als überkandideltes Konzeptalbum daher zu kommen. Dabei nimmt einen die Band diesmal mit auf eine dreiviertelstündige Fahrt mit der extra für diesen Anlass konstruierten Variante der trans-transsilvanischen Eisenbahn. Mit an Bord: Teuflischer, hymnenhafter Retro-Horror mit besonders vielen Tiefen und Weiten. Also genau das, was die Fans jetzt brauchen, nach dem wütenden, manche sagen auch „orientierungslosen“ (Metal Hammer) Hochgeschwindigkeitsvorgänger „Rough Times“ (2017), der für Bandverhältnisse mehr Punk als Psych war.

Schon der kurze Opener „The End“ macht beim neuen Album klar, dass es gleich rock-episch zur Sache gehen wird. Die Stimme von Christoph „Lupus“ Lindemann klingt so entrückt als hätte er im rumänischen Transsilvanien, wo tatsächlich das Bilderbuch-Cover der neuen Platte aufgenommen wurde, einen Workshop für okkulte Messen besucht – spaßeshalber versteht sich. „The Devil‘s Master“, die erste von zwei bereits vorab veröffentlichten Singles knüpft daran perfekt an und spielt wirklich alle Stärken der Band auf den Punkt gebracht aus – inklusive der zu einer dampfenden Maschine verzahnten Drum-und-Bass-Gewalt von Christoph „Tiger“ Bartelt und Simon „Dragon“ Bouteloup. Wer das Video zum Song noch nicht gesehen hat: es ist ein mit allen Weihwassern gewaschener Spaghetti-Western-Kurzfilm.

Als nächstes Highlight des Albums folgt das Hook-Monster „Children of the Night“, das die ohnehin schon alptraum-geplagten Hoffnungsträger von „Fridays for Future“ besser nicht in die Finger bekommen sollten („There is no tomorrow / There is no tomorrow for us all“). Auch in „Poison“ lässt sich leicht mehr heraus lesen als bloße gruselromantische Nosferatu-Fantasien. So singt Lindemann not amused: „You still believe their stories / About origin and race / You feel alienated / And fear runs your brain (…) Don’t you see? We get tricked / By the wealthy and the rich / They press your head in the mud / Until you keep your mouth shut“. Yo, unmissverständlicher geht‘s kaum im Genre der Draculas und Dämonen.

Wo wir wieder bei dem wären, wofür man diese Band am meisten lieben sollte: sie verbindet und denkt groß dabei. Das dürfte auch für die anstehende Tour zum Album gelten, denn Kadavar leben schon das ganze Jahrzehnt über nach der Devise: nach der Welttour ist vor der Welttour. Wo immer man wohnt – ziemlich sicher spielen Kadavar bald wieder irgendwo in der Nähe. Das wussten Lupus, Tiger und Dragon von Beginn an: Ihre Fans wohnen nicht nur in Berlin, Paris und Mexiko City, sondern auch in Wiesbaden, Halle und Villeurbanne.

10.11.2019 Hannover – Capitol
20.11.2019 Wiesbaden – Schlachthof
21.11.2019 Nürnberg – Hirsch
22.11.2019 München – Backstage Werk
23.11.2019 (AT) Wien – Arena
24.11.2019 Dresden – Beatpol
27.11.2019 Stuttgart – LKA Longhorn
28.11.2019 Köln – Essigfabrik
29.11.2019 Hamburg – Große Freiheit
30.11.2019 Berlin – Columbiahalle

VÖ: 11. Oktober 2019 via Nuclear Blast