Text: Stefan Killer, 26. Oktober 2020

Kadavar hat während der Pandemie mit vielem gebrochen, was die Band ausmacht. Da wäre zunächst die Powertrio-Besetzung. „The Isolation Tapes“ ist außerdem nicht auf Nuclear Blast, sondern über das bandeigene Label erschienen, Robotor Records. Ob das neue Album und Label Symptome der Pandemie sind oder eine Zäsur in der nunmehr fünf Studioalben umfassenden Erfolgsgeschichte, wird sich zeigen. Was feststeht, ist der vollendete Schwenk von Stonerrock und Doom-Allüren hin zu Artrock und Schnörkeln. Und der klingt genauso groß wie bekannt.

Schon im ersten Track wird klar: „The Isolation Tapes“ ist eine ungewohnte Weiterentwicklung der Band. Die ersten Synthiklänge hallen durch den Raum, und schon steigt die Spannung, was da wohl kommen mag. Dann wird es wild, denn das erweiterte Trio um Lupus, Tiger und Dragon verbandelt zwei Jahrzehnte Rock und Pop zu einem spannenden Gesamtkunstwerk.

Mal klingt das Trio eins zu eins so, als hätte es „The Wall“ neu vertont, mal packt es „White Rabbit“ an den Löffeln. Und am Ende der Klangpalette stehen sie in weißer Schlaghose und „The Logical Song“ auf den Lippen im Rampenlicht erster Live-Fernsehsendungen. Retrosounds stehen bei Kadavar seit Gründung auf der Tagesordnung, solch krautige wie vollendete Songs gab es aber selten. Weniger grob, dafür mit mehr Harmonie treibt die Band durch atmosphärischere Gefilde.

Viel Show und Unterhaltung

Die klangtechnischen Referenzen und Zitate gefallen sehr, sind aber etwas schwer verdaulich, handelt es sich doch um schon Gehörtes, schon anderswo für gut Befundenes. Die Musik wirkt größer denn je, nicht zuletzt durch Synthi und dreistimmige Gesangseinlagen. Wie sonst auch bedient sich Kadavar am musischen Werkzeugkasten der 1960er- und 1970er-Jahre. Was einen bitteren Beigeschmack bei so viel Show und Unterhaltung hinterlässt, ist der fehlende Mut oder Wille, über die Retroschiene hinauszugehen.

„The Isolation Tapes“ ist zweifellos eine der spannendsten Platten des Pandemie-Jahres 2020. Statt aber die neue Gangart und die gewonnene Freiheit durch Robotor Records als klare Zäsur zu nutzen, entschied sich die Band leider wieder für Oldschool pur – wenngleich die Palette um viele neue Klänge und Schreibtechniken gewachsen ist. Sichere Bank. Am Ende bleibt ein großartiges Album, das wie ein Mixtape – Pardon, eine Spotify-Playlist – von Supertramp Airplane klingt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

VÖ: 23. Oktober 2020 via Robotor Records