Text: Tim Brügmann, 11. Mai 2020

Last Man Standing. Beim Schreiben seiner Memoiren überkam Grunge-Legende Mark Lanegan vor allem eins: Schmerzhafte Gefühle und Erinnerungen, die er lange hinter sich gelassen hatte. Er ist ein Überlebender, der so tief durch die knietiefe Scheiße gewatet ist, dass man es sich gar nicht ausmalen will. „Sing Backwards and Weep“ titelt die rund 350 Seiten starke Büchse der Pandora, der der grimmige Blues-Meister nun auch ein dazugehöriges Album spendiert. Und tatsächlich präsentiert sich Lanegan auf „Straight Songs of Sorrow“ in Bestform.

I went way in, and remembered shit I’d put away 20 years ago. But I started writing these songs the minute I was done, and I realized there was a depth of emotion because they were all linked to memories from this book. It was a relief to suddenly go back to music. Then I realized that was the gift of the book: these songs. I’m really proud of this record.

Das Album legt die komplette Bandbreite seines mehr als 30-jährigen Schaffens offen. 15 Tracks stemmen 60 beeindruckende Minuten, die perfekt ineinander greifen. Sie berichten von Schmerz, Verlust, Drogen und der Schuld eines Überlebenden. Während die Memoiren den Kampf um den Frieden mit sich selbst dokumentieren, betont das Album, in welchem Maße er erkannt hat, dass Musik sein Leben ist. Lanegan versichert, dass jedes Lied auf eine bestimmte Episode oder Person im Buch verweist, wenn auch einige deutlicher als andere. Dabei gibt der ehemalige Screaming Trees-Frontmann und Queens of the Stone Age Mitglied Songs zum Besten, die so aufrichtig sind wie seine Memoiren und nach viel Finsternis auch einen Blick ins Licht wagen.

I spent my life trying every way to die / Is it my fate to be the last one standing?

“Straight Songs Of Sorrow” ist ein Höhepunkt in der Diskographie Mark Lanegan, aber auch bezeichnend für die Energie, die er aus seiner nüchternen Spätphase schöpft. Lanegan hat, anders als seine besten Freunde Lane Staley und Kurt Cobain, überlebt und kann trotz einiger Irrfahrten zurecht stolz auf sich sein. Er berichtet von einer unglaublichen Fahrt, einer wilden Schlammlawine in den Abgrund. Und obwohl das Album fast komplett in Eigenregie entstand, holte er sich für den Feinschliff zahlreiche Gäste und Wegbegleiter hinzu. Neben Lamb Of Gods Mark Morton, Greg Dulli von den Afghan Wigs, Led Zeppelins John Paul Jones, spielen auch der Bad Seeds Teufelsgeiger Warren Ellis, sowie Adrian Utley von Portishead, Ed Harcourt oder der Cold Cave Sänger Wesley Eisold ihre jeweilige Rolle stimmig und gekonnt. Zwei der Stücke auf „Straight Songs of Sorrow“ entstanden darüber hinaus zusammen mit Ehefrau Shelley Brien.

Fans des Solo-Frühwerks, denen Lanegans letzte Ausflüge in den Synth-Pop und Krautrock bisweilen zu fröhlich klangen, werden mit dieser Scheibe wieder versöhnt werden. Auch wenn sich weiterhin zunehmend elektronische Klänge in den Songs des Crooners breitmachen und die Tage des einstig einsamen Singer-Songwriters mehr oder weniger gezählt sind. Mark Lanegan trat noch nie auf der Stelle. Produziert wurde „Straight Songs of Sorrow“ jedoch – wie soll es auch anders sein – wieder einmal von Tausendsassa Alain Johannes. Nicht nur rein exzellenter Begleiter einer außergewöhnlichen und überaus rauen Biographie, nein, “Straight Songs Of Sorrow” beherbergt auch einige von Lanegans besten Songs seit Jahren.

VÖ: 08. Mai 2020 via Heavenly Recordings