Text: David Maneke, 21. März 2019

en route to the city of my birth / I lie on the back bench / and spot a rainbow in every cloud.

Das sind die ersten Zeilen, die Sänger Nicolai Zettl ins Mikrofon haucht. Sie illustrieren das psychedelisch-popmusikalische Spielfeld der EP mit dem ambitioniert-nostalgischen Inhaltsraum, der in psychedelischer Popmusik oftmals Träger einer sublimen Text-Musik-Schere ist, wie sie sich auch im Songwriting bei Tame Impala, oder erst kürzlich bei deren Spinoff Pond den Weg bahnt.

Anders als die angesprochenen Übereltern kontemporärer psychedelischer Popmusik sind OOI nicht (Neben-)Produkt einer lokalen Ballung von kreativen Tausendsassas, sondern ein reichlich internationales Projekt: Sänger Zettl wird offiziell als „Tokyo based US expat” bezeichnet, Drummer Flo König stammt aus Deutschland und treibt sich live schon mal mit dem bekanntesten Panda der Republik herum und Keyboarder Dodo dal Bosco wiederum stammt aus Italien. Zusammen entwickeln sie eine weltenbürgerliche Interpretation ambitionierter Popmusik. Die Vorbilder schimmern durch, aber die genuine Kreativität der Band bahnt sich beständig ihren Weg an die Oberfläche. Am heutigen Donnerstag veröffentlichen sie ihren ersten umfangreicheren Arbeitsnachweis, nachdem sie im Sommer 2018 angefangen haben, zu jedem Vollmond eine neue Single über verschiedene Vertriebswege zu veröffentlichen.

Die Fülle an Musik auf „Ghost“ ist überraschend, doch niemals unüberschaubar. Es liegt ja bei einer EP – vor allem bei der ersten – die Vermutung nicht fern, dass sich die ganze, über eine längere Zeit angestaute Kreativität manchmal ein wenig chaotisch entlädt, und das ist auch hier zu beobachten; OOI lassen ihrem Spieltrieb über die EP hinweg weitestgehend freien Lauf. Die sechs Songs unterscheiden sich teilweise erheblich und auf klassische Songstrukturen geben die Gentlemen keinen Pfifferling, aber jeder einzelne Song für sich genommen ist ein in sich geschlossenes Werk. Das Resultat ist jedenfalls abwechslungsreich, man spürt die kreative Energie (5 Euro in die Eso-Kasse, aber hier zahl ichs gern) in jedem Moment der Platte. Gleichzeitig aber spielt sich dieses kreative Chaos auf einer geräumigen, aber doch zumindest halbwegs abgesteckten Bühne ab, die mit dem Begriff „Avantgarde Pop“ sicherlich nicht falsch bezeichnet ist.

Und „Ghost“ gibt Zeugnis davon, dass OOI feinfühlige Komponisten sind. Jeder einzelne Track zeichnet sich durch eine mit enorm viel kompositorischem Fingerspitzengefühl herausgearbeitete Balance zwischen Leichtigkeit und Schwermut aus. So entsteht ein musikalisches Abbild des Widerstreits beider Stimmungen, weniger in der holzschnittartigen Version als stetiges Wechselspiel, sondern als feingliedrige Ambivalenz, deren Pole so sublim ineinander verzahnt sind, dass sie sich dem Versuch einer ästhetischen Archäologie souverän entziehen.

Ich persönlich glaube ja, dass das Reisemotiv aus den Anfangszeilen programmatisch für „Ghost“ ist. Die fluiden Wechsel der Situationen, wie sie jeder Reise eigen sind, finden sich auf der ganzen EP. Gleichzeitig bleibt sie Momentaufnahme, unabgeschlossen, Cliffhanger – und das ruft dezente Aufregung hervor, denn wir sind ja so sehr an abgeschlossene Geschichten gewöhnt. Das macht „Ghost“ zu eine der spannendsten Veröffentlichungen des bisherigen Jahres.

VÖ: 21. März 2019 via Full Moon in Libra/Spring Equinox