Text: Christoph Walter, 29. April 2020

In dem Nurdachhaus in den Bergen Oregons, das sowohl auf dem Cover von „For Their Love“ als auch im Video zur großartigen Vorab-Single „Lost Day“ zu sehen ist, könnte man sich gut vorstellen, ein paar Wochen der Quarantäne zu verbringen. Der längere Aufenthalt in dem prägnanten Haus hat der Kreativität von Other Lives sicher nicht geschadet, denn mit der aktuellen Platte zeigt sich die Band um Jesse Tabish fünf Jahre nach dem letzten Album „Rituals“ wieder in bestechender Form, wobei das 2011 veröffentlichte Meisterwerk „Tamer Animals“ nach wie vor unerreicht ist.

Mit dem üppig orchestrierten „Sound of Violence“, das an „For 12“ von „Tamer Animals“ erinnert, dem bereits ausgiebig gepriesenen „Lost Day“ und dem gitarrenlastigen, autobiographisch geprägten „Cops“ legt „For Their Love“ mehr als überzeugend vor, ehe mit „All Eyes/For Their Love“ das wohl ambitionierteste Stück der Platte folgt – übrigens das einzige, das die Vier-Minuten-Grenze deutlich überschreitet. Nach einer langen Ouvertüre mit cineastischen Streichern präsentiert sich Jesse Tabish als eigenwillige Mischung aus 60er-Jahre-Crooner und esoterischem Guru. Weniger entspannt geht es auf „Night’s Out“ zu, das sich anhört wie die Untermalung zu einem bluttriefenden B-Horrorfilm und das auch wunderbar auf „The Horror“, das Gänsehaut-Album von Get Well Soon, gepasst hätte. Das staubige „We Wait“ dagegen erinnert nicht zuletzt der satten Bläser wegen an Calexico, während „Hey Hey I“ im Vergleich zu den restlichen Stücken der LP erstaunlich geradlinig vorprescht. In der hervorragenden Ballade „Sideways“ hallt zum Abschluss schließlich noch ein weiteres Mal der Geist von „Tamer Animals“ nach.

So unterschiedlich und abwechslungsreich die einzelnen Songs auch ausgefallen sein mögen, wirkt „For Their Love“ als Gesamtwerk dennoch sehr stimmig und durchdacht. Auch das ist ein weiterer Beweis für das herausragende Talent von Other Lives. Dieser Tage hätten die Amerikaner für drei Konzerte in Hamburg, Berlin und Köln vorbeigeschaut – wann und ob die Auftritte nachgeholt werden, ist momentan noch nicht bekannt.

VÖ: 24. April 2020 via PIAS