Text: Christoph Walter, 22. Juni 2020

Ihre aktuelle „Welttournee“ absolvierte Phoebe Bridgers innerhalb der eigenen vier Wände – Tourstationen waren unter anderem das Schlafzimmer, die Küche und das Bad. Auch die Reise auf ihrem zweiten Soloalbum findet vor allem im Kopf statt, führt aber deutlich weiter, nämlich zurück in die Neunziger. Ein großer Vorteil dabei ist, dass die im August 1994 geborene Amerikanerin zu jung ist, um diverse Scheußlichkeiten dieses seltsamen, aber doch irgendwie behaglichen Jahrzehnts bewusst erlebt zu haben. Bei einer älteren Künstlerin könnte die auf „Punisher“ zu Gehör gebrachte Mischung aus Powerpop, MTV-Ästhetik und „Dawson’s Creek“-Soundtrack nämlich schnell verklärt oder allzu süßlich wirken, aber letzten Endes ist Phoebe Bridgers einfach auch zu clever, um in solche Fettnäpfchen zu tappen.

Schon die ersten Vorab-Singles hatten große Erwartungen geweckt: „Garden Song“ war eine Art dekonstruierter Countrypop-Ohrwurm mit hintersinnigem Text, das indierockige „Kyoto“ erinnerte an die Zusammenarbeit mit Conor Oberst als Better Oblivion Community Center. Ähnliche Perlen hat das insgesamt doch erstaunlich ruhige, aber durchgehend hervorragende „Punisher“ im Fünfminutentakt zu bieten. „Chinese Satellite“ ist mit seinem herrlichen Refrain und der Streicheruntermalung schlicht und ergreifend ein ganz wunderbarer Song, „ICU“ treibt Bridgers‘ Neunziger-Affinität allein mit der schmachtenden Textzeile „I feel something when I see you“ auf die Spitze, und der bittersüße Folksong „Graceland Too“ wird standesgemäß von einer Fiedel begleitet, ohne auch nur ansatzweise in Richtung Kitsch abzudriften.

Viele von Brigers‘ neuen Songs beschwören Bilder herauf, die man aus diversen Indie-Filmen zu kennen scheint: Halloween-Partys, die nicht so recht in Fahrt kommen wollen, verwaiste nächtliche Parkplätze und dergleichen. Zu anderen Stücken dagegen möchte man am liebsten selbst aktiv werden. Sollte je die Notwendigkeit bestehen, auf einem Bonanzarad durch den Sommerregen zu rasen, um einen lebensverändernden Anruf in einer Telefonzelle entgegenzunehmen, muss man während der Fahrt unbedingt „I Know The End“ hören. Mit dem Walkman. Laut.

VÖ: 19. Juni 2020 via Dead Oceans