Text: Julian Neckermann, 25. Oktober 2019

Da ist man gerade dabei einen Swans-Brocken zu verdauen, steht schon der nächste vor der Tür. Kurzer Blick auf den Kalender: Huch! Drei Jahre sind seit „The Glowing Man“ schon wieder ins Land gezogen. Nun erscheint also der Nachfolger des zweieinhalbstündigen Mammutwerkes und nicht nur die Spielzeit von lediglich rund 90 Minuten ist zahmer – auch befindet sich auf dem vorliegenden Album kein einziger Song, der auch nur annähernd die 30-Minuten-Marke erreicht.

Nachdem die Band nach der Reunion 2010 immer wieder in neuer Inkarnation zusammenfand, haben wir es bei „Leaving Meaning“ mit einer komplett neuen Konstellation und Herangehensweise zu tun. Man könnte hier nun von einem Swans-Kollektiv sprechen. Unter der Regie von Michael Gira wurde „Leaving Meaning“ nicht mit einer festen Truppe eingespielt, sondern die Songs wurden jeweils mit einer anderen Auswahl an MusikerInnen aufgenommen, die der Maestro aufgrund ihrer Persönlichkeit, ihres Könnens und ihres Geschmacks ausgewählt hat. Dabei finden sich im Personal auch viele der Namen, die bei den Vorgängeralben schon involviert waren.

War „The Glowing Man“ die Essenz der Swans seit 2010, könnte man „Leaving Meaning“ als ein „Best of“ beschreiben; aber bitte nicht falsch verstehen: Damit meine ich nicht, dass uns hier hauptsächlich Wiedergekäutes vorgesetzt wird, vielmehr haben wir es bei dem Langspieler mit einer Melange aus dem Besten seiner alten Teile und neuen Quellen der Inspiration zu tun. So darf man sich über ein Wiederhören mit alten Bekannten wie zum Beispiel Kristof Hahn und Thor Harris sowie auf Gastbeiträge von Anna und Maria von Hausswolff, Ben Frost oder Jennifer Gira freuen.

Klar, ganz neu erfindet man sich auch hier nicht neu aber das muss ja gar nichts Schlechtes sein. So gibt es mit „The Hanging Man“ und „My Phantom Limb“ Nummern, die an alte Glanztaten erinnern, inklusive Giras manisch, beschwörerischer Intonation höchst expressionistisch-metaphorischer Texte, die zwischen Weltuntergangspriester, Kehlkopfgesang eines Schamanen und quengelndem Kind changiert und repetitiv-hypnotischer Instrumentierung. Das Vorabstück „It’s Coming It’s Real“ ließ aber erstmal staunen: Fast schon funkige, 70er-Jahre Discovibes inklusive Gospel-ahs von Anna und Maria von Hausswolff im Background wirkten im erste Moment für Swans so unreal, dass der Titel schon Qualitäten einer selbsterfüllenden Prophezeiung innehat. Ungewohnt geht es auch bei „Amnesia“, das irgendwo zwischen einem Soundtrack für einen Giallo-Western und einer murder ballad angesiedelt ist, oder „Sunfucker“, das an ein fiebriges Voodooritual in den Sümpfen Louisianas denken lässt, zu.

Und dann hätten wir hier fast noch kein Wort über die Lyrics verloren, die Swans-typisch aber eigentlich kaum vollständig zu entschlüsseln sind (bis auf die sehr direkte Zeile „The Presidents Mouth is a Whore“). Ich finde jedoch, dass die Musik Swans gar nicht groß entschlüsselt, sondern erfahren werden muss, dann kommen die Assoziationen und Bedeutungen von ganz allein. Mir drängt sich aber immer wieder das Bild der apokalyptischen Prophezeiung, in Tradition der Johannes Offenbarung, auf: Neben allem biblischen Vokabular und vor allem hinter diesem versteckt sich ein Kommentar auf die politische Lage, die ich im Falle von „Leaving Meaning“ beeindruckt vertont finde.

25.04.2020 Nürnberg – Z-Bau
26.04.2020 (AT) Krems an der Donau – Donau Festival
28.04.2020 Berlin – Festsaal Kreuzberg
05.05.2020 Hamburg – Übel & Gefährlich
18.05.2020 Wiesbaden – Schlachthof
23.05.2020 Köln – Gebäude 9

VÖ: 25. Oktober 2019 via Mute