Text: Säm Wagner, 26. Januar 2018

Neulich haben wir uns wieder einmal über das Haltbarkeitsdatum von Indie-Bands unterhalten. Können zum Beispiel die Sportfreunde Stiller irgendwann mit Ende Vierzig noch übers Wellenreiten, Ersatzbankdrücken oder das „Roquen“ singen? „Das nimmt ihnen dann doch keiner mehr ab.“

Uns fielen jedoch sofort zwei Bands unserer Generation ein, die sich da prächtiger entwickelt haben. Die mit ihren Fans erwachsen geworden sind. Die in allen Lebenslagen zur richtigen Zeit die richtigen Töne getroffen haben. Natürlich waren Radiohead gemeint – und Tocotronic. Letztere haben uns durch die Jugend begleitet – mit Trainingsjacken und Protestsongs, die die richtigen Dinge anprangerten (Samstage, Gitarrenhändler, bunte Uhren, Tanztheater dieser Stadt). Als wir an die Unis gingen und nicht wussten, ob wir hier überhaupt richtig waren, wurden Tocotronic ähnlich schrullig wie wir es wurden. Dirk von Lowtzows Texte wurden schwurbeliger und verklausulierter (ich habe die Band in einem Interview zum weißen Album einmal darauf angesprochen und Jan Müller wurde gleich ganz wütend und entgegnete mir armen Tropf, dass er sofort versteht, was Dirk meint mit „Neues vom Trickser – der einen Topjob macht – als ein Übersetzer – zwischen Tag und Nacht – als eine Art Verführer – im Dazwischensein – mit Worten wie diesen – die gemacht sind für uns zwei“).

Die Band entwickelte sich weiter und nahm uns mit auf den Weg. Sprich: Tocotronic haben zu jeder Zeit genau die Musik gemacht, die in unsere jeweilige Lebensphase passte. Vom Wunsch, Teil einer Jugendbewegung zu sein zum Beispiel. Später ging es um urplötzlich erfolgreiche Freunde, die wir deshalb verabscheuten (die „Pest der Existenz“), schließlich um „Die Erwachsenen“, denen wir nicht mehr trauen, obwohl wir doch selbst längst zu ihnen gehören.

Jetzt gehen Tocotronic wieder zurück auf Anfang. „Die Unendlichkeit“ ist Dirk von Lowtzows Autobiografie, sein Rückblick auf Kindheit, Jugend, Bandgründung. Und seine Texte sind erstmals wieder so konkret wie zuletzt auf „Wir kommen um uns zu beschweren“ (das war 1996). Er singt vom Ausgegrenzt sein in der Provinz, vom verliebt und vom rebellisch sein, vom Tod enger Freunde, vom Umzug in die Großstadt.

Ja, meint man im ersten Augenblick, das ALLES habe ich doch genauso erlebt. Im Jugendzimmer mit der E-Gitarre vor dem Spiegel vor dem man sich eben noch einen Pickel ausgedrückt hat. Im Dorf-Bushäuschen abhängen, angeschickert vom Apfelkorn. Been there, done that. Müssen Tocotronic uns unsere Adoleszenz noch einmal erzählen? Ist das nicht doch zu banal und zu zärtlich verklärt? Dirk von Lowtzow, Jan Müller, Arne Zank und Rick McPhail wickeln uns am Ende doch wieder um den Finger.

Sie schufen nicht ihr Meisterwerk, als das „Die Unendlichkeit“ andernorts schon gefeiert wurde. Tocotronics zwölftes Album ist ein einschneidendes Werk, das aus seiner Reihe fällt. Und angenehm anders ist. Musikalisch vielschichtiger als sonst – vom Sound der frühen Tocotronic („Hey Du“) über Roxy Music („Bis uns das Licht vertreibt“) bis hin zum Lagerfeuer-Pop („Ich würd’s dir sagen“). Tocotronic, wir werden unseren Weg weiter gemeinsam gehen!

06/03/2018 Bremen – Schlachthof
07/03/2018 Münster – Sputnikhalle
08/03/2018 Heidelberg – Halle 02
09/03/2018 Erlangen – E–Werk
11/03/2018 Erfurt – Stadtgarten
12/03/2018 Wiesbaden – Schlachthof
13/03/2018 Köln – E–Werk
14/03/2018 Hannover – Capitol
16/03/2018 Hamburg – Große Freiheit 36 (Zusatzshow)
17/03/2018 Hamburg – Große Freiheit 36 (Ausverkauft)
06/04/2018 Leipzig – Werk 2
07/04/2018 Essen – Weststadthalle
08/04/2018 Stuttgart – Theaterhaus
09/04/2018 (CH) Zürich – X–Tra
11/04/2018 Freiburg – E–Werk
12/04/2018 München – Tonhalle
13/04/2018 (AT) Salzburg – Republic
14/04/2018 Dresden – Alter Schlachthof
16/04/2018 Berlin – Columbiahalle
28/07/2018 (AT) Wien – Arena Open Air

VÖ: 26. Januar 2018 via Universal Music