Text: Christian Selzer, 13. Mai 2021

Factory Records war noch gar nicht gegründet, da hatten A Certain Ratio bereits den Funk im Punk entdeckt, die Diskokugel unter die Decke genagelt und den Rausch der Madchester-Ära um Jahre vorweggetanzt. Nennenswerte Charterfolge gab es in den folgenden vier Jahrzehnten Bandgeschichte zwar nicht, im Vergleich zu Factory-Zugpferden wie New Order oder den Happy Mondays galten ACR Vielen als zu verkopft. Die wirbelnden Rhythmen der Funk-Punk-Pioniere prägten aber trotzdem nachweislich Generationen an Musikern und beeinflussten Acts wie LCD Soundsystem, die Talking Heads oder Red Hot Chili Peppers.

Immer wieder kreuzten ACR ihre Funk-Punk-Formel mit andere Genres. In der Frühphase vor allem mit kühlem New Wave, später mit Jazz und Soul. Ihre neue EP „ACR:EPA“, die im März 2020 in einer spontanen Session eingespielt wurde, sendet wieder unmissverständliche Bewegungsbefehle an das Kleinhirn aus. Doch diesmal ist sogar noch Platz für krautrockige Eskapaden. Der Opener „Wonderland” schraubt sich mit Saxofon und leiernder Orgel in psychedelische Höhen und zeigt, wie perfekt die Rädchen bei ACR mittlerweile ineinandergreifen. „Keep it together” lässt dicke Bässe und Bläserfanfaren so lange miteinander grooven, bis man auf der Tanzfläche knöcheltief im Schweiß steht. Schmatzend tiefe Synthbässe rollen durch „Down and Dirty” und ergänzen die Stimme von Denise Johnson zu kraftvollem Soul. Leider einer der letzten Auftritte von Denise Johnson – die Primal-Scream-Sängerin verstarb völlig überraschend kurz nach den Aufnahmen.

Den ACR-Überhit wird man auf „ACR:EPA“ wieder vergeblich suchen. Spaß macht es trotzdem, der Spielfreude dieser Genre-Ikonen nachzuspüren, die auch nach vierzig Jahren noch nicht genug haben. Die New-Funk-Revolution werden ACR wohl nicht mehr ausrufen. Doch solange sich die Diskokugel noch dreht, bleiben sie das am schlechtesten gehütete Geheimnis der Popgeschichte.

VÖ: 07. Mai 2021 via Mute