Text: Julian Tröndle, 25. März 2022

Zugegeben: Meine Erwartungen an das neue Aldous Harding Album waren groß, unfair groß: „Designer“, der Vorgänger aus dem Jahr 2019, war ein lakonisches Meisterwerk; grandios entrückter Folk, der klang, als hätte man Feist ein Jahr lang in ein dunkles Zimmer gesperrt, um sie dort im Fieberrausch und ohne die Möglichkeit sozialer Interaktion über Songs und Sounds brüten zu lassen. Das Atemberaubende an der Platte war letztlich seine Dichte an Details: So entdeckte ich erst nach einem Jahr der obsessiven Auseinandersetzung mit der Platte im Song „Weight of the Planets“ ein perkussives Element, das sofort zu meiner Lieblingsstelle des Albums wurde: Ein leiser, ja beinahe para-akustischer Sound, dessen Ursprung ich erst vor kurzem assistiert aufklären konnte: Was ich zunächst für ein ein Stimmen-Sample oder eine Mini-Guiro hielt, ist wohl – so zumindest das fachkundige Ohr eines befreundeten Perkussionisten – eine brasilianische Monkey Drum.

Ich lag also vorfreudig und wachsam auf der Lauer nach ähnlichen, im lichten Ornament der Arrangements verborgenen Klangphänomenen, als ich den Nachfolger „Warm Chris“ zum ersten Mal zu hören bekam. Der erste Singlevorbote „Lawn“ hatte mich mit seinen seltsam gutgelaunten Mosambik-Vibes noch überzeugen können und auch der gitarrenlose Opener „Ennui“ wirkte auf mich zumindest harmonisch angenehm herausfordernd. Meine unrealistische Erwartungshaltung hatte ich zu dem Zeitpunkt indes bereits prophylaktisch gedämpft. Denn Eines war seltsam: Selbst Hardings unverfrorene Enigmatik – ihr female crooning im Song „Tick Tock“ etwa oder das nervöse Gitarrenbreak im Titelsong – erschien mir, anders als noch beim Vorgänger, plötzlich nicht mehr als Ausdruck ihres songwriterischen Genies, sondern als kalkulierter Selbstzweck. Glücklicherweise war die ästhetische Talsole jedoch mit dem dritten Song „Fever“ bereits genommen: Ein erschreckend generischer Pop-Song, der klingt, als hätte man Joni Mitchell gezwungen, die Black Keys zu covern (wobei vermutlich auch diese Analogie mehr Interesse weckt, als der Song verdient).

Auf die von mir so liebgewonnenen Detailexperimente wartete ich aber auch im Anschluss vorerst vergeblich. Vielmehr überkam mich ein trauriger Verdacht: Hat womöglich der Erfolg des Vorgängers strategische Erwägungen seitens des Labels angestoßen? Erwägungen, die all die lovely weirdness ihres Songwritings mitsamt des liebevollen Kleinkleins zugunsten von Formatradio-Ambitionen suspendiert haben?

Schließlich dann doch noch befreiendes Aufatmen und -horchen: Nein, Harding hat sich ihren brillanten Wahnsinn gänzlich für ein grandioses Albumfinale aufgespart. Beginnend mit „Staring at the Henry Moore“, einem Duett mit ihrem manischen Zwilling, der beschlagenen Hörer:innen bereits aus einigen Songs auf „Designer“ vertraut sein dürfte, entfaltet sich dort ein obskures Song-Triptychon. In dessen Mitte: Der groteske Mitternachts-Jazz namens „Bubbles“, den selbst eine Julia Holter in seiner Strukturlosigkeit nicht radikaler hätte komponieren können. Im fantastisch durchgeknallten Abschlusssong, in dem neben einer Velvet-Undergound-Orgel und einem greisen Ehepaar noch einmal besagter Zwilling einen Auftritt hat, schließlich die Zeile, die mich doch noch an meine Versöhnung mit der Platte glauben lässt: „I’m a little bit older / But I remain unchanged“, singt Harding dort. Ich bin daher vorsichtig zuversichtlich, dass ich die von mir herbeigesehnten akustischen easter eggs am Ende doch noch finden werde, auch wenn es vermutlich Wochen, Monate, ja, vielleicht sogar Jahre dauern wird – ganz so, wie es auch beim Vorgänger der Fall war.

26.03.2023 Köln – Gloria
07.04.2023 Berlin – Admiralspalast
14.04.2023 Hamburg – mojo club

VÖ: 25. März 2022 via 4AD