Was, wenn die wahrhaftige Verschmelzung von Hip-Hop und (Live-)Jazz eine neue, zeitgenössische Blütezeit erfährt? Den Grundstein dazu könnte der junge Brite Alfa Mist mit dem letzten Track seiner neuen Platte „Bring Backs“ gesetzt haben. Fast drei Jahrzehnte nach den Hybrid-Projekten der Golden Era of Hip-Hop, angeführt von A Tribe Called Quest, The Roots, De La Soul oder der Jazzmatazz-Serie, scheint der Verbund von live eingespieltem Jazz anstelle reinem Samplings im UK-Rap neu aufleben zu dürfen.
Alfa Sekitoleko alias Alfa Mist, seines Zeichens aufstrebender Künstler der Jazzszene Londons, weiß dessen Hip-Hop-Vergangenheit fortwährend in seinen Jazzplatten zu verweben. „Bring Backs“, das dritte Album des personifizierten Jazz-Hip-Hop-Kollaborateurs endet mit einem echten Paukenschlag. Der neunte Track „Organic Rust“ ist ein echtes Brett des UK-Rap. Alfa Mist really got bars! Mit angenehmer Bariton-Stimme rappt der frühere Hobby-MC lyrische Finessen on spot auf den, klar, jazzigen Beat und kommt dabei zudem komplett ohne Hook aus. Sein ruhiges Storytelling steht ganz für sich und schmiegt sich perfekt an das Instrumental an. Besonders auffällig ist, dass jenes eben nicht beim Beatschema eines Jazzsamples verweilt, sondern mit der Zeit improvisierter, ja ungestümer auswuchert. Dieser Song verlangt nach mehr. Immerhin: schon auf dem gefeierten Erstlingswerk „Antiphon“ war Platz für eine Rapnummer („7th October“), auf dem Kollabo-Album „Epoch“ ebenfalls („Insomnia“).
Zu allem Überfluss gibt es seit 2016 sogar bereits ein Nebenprojekt namens 2nd Exit mit Alfa Mist als vordersten MC. Soweit, so gut. Nur fehlt den Tracks von 2nd Exit die Unmittelbarkeit des Jazzspiels in den Instrumentals – bei „Organic Rust“ hingegen, vermag diese gerade zum Ende hin eine Sehnsucht zu entfachen. Ein Album im Stile des letzten Tracks wird Wunschdenken bleiben, ein Exempel hat Alfa Mist dennoch statuiert. JazzkünstlerInnen mit Hip-Hop Affinität oder Hip-HopperInnen mit Jazzband könnten auch heute noch mit selbst eingespielten Instrumentals ein neues Kapitel der vermeintlich auserzählten Jazz-Hip-Hop-Symbiose aus den Neunzigern aufschlagen.
Alfa Mist verfolgt einen Grundsatz: “Rapping is a tool in the box rather than a pursuit. It’s like an instrumental choice on the song. I don’t rap over everything because not everything needs it.” Und zugegeben, es grenzt an Vermessenheit lang und breit über das Rap-Finish von „Bring Backs“ zu sinnieren, wo es sich doch schließlich um ein überaus hörenswertes Konzeptalbum des UK-Jazz handelt, in welchem Hip-Hop-Einflüsse auf jedem Track lediglich andersartig durchschimmern sollen.
Wie auf den vorherigen Alben beweist Alfa Mist erneut sein einzigartiges Gespür für genreübergreifende Harmonien. „Teki“, der erste Track, ist einer der turbulentesten der Platte, was nicht zuletzt an der vorherrschenden E-Gitarre und den später einsetzenden Bläsern liegt. „Mind The Gap“ ist neben dem Closing-Track der einzige vorrangig Hip-Hop-getriebene Song, inklusive Gast-Rapper Lex Amor. Auf „Run Outs“ offenbart sich die ebenbürtigste Verbindung beider Genres. Präzise Drumbeats treffen auf virtuose Jazz-Improvisation an Klavier, Trompete und E-Gitarre. Aber auch ein Streicher-Interlude und ein Track mit Jazzsängerin und Langzeitbegleiterin Kaya Thomas-Dyke sind auf dem Album untergekommen. Was bleibt, ist nach dem zweiten und dritten Mal Hören also viel weniger die Sehnsucht nach mehr echtem „Jazz-Rap“ als die Freude über ein wirklich spannend inszeniertes Album, das für die meisten Hörer keine Wünsche offenlassen sollte.