Text: Michael Smosarski, 10. Oktober 2019

Angel Olsen hätte es sich in ihrer Ecke bequem machen können – schließlich wurde sie bereits mit ihrem Debüt-Album zum von den Kritikern geliebten „Sad Girl“ des Indie-Folk. In allem Lob für die Singer/Songwriterin schwang aber auch immer etwas Kopftätschelndes mit: Ist sie nicht knuffig? Mit ihrem Anti-Folk-Appeal, dem schludrigen Gitarrenspiel und diesem hübschen Gesicht?

„All Mirrors“ ist nun genau die lang ersehnte Backpfeife, die diese Wahrnehmung mit einem – ähm – Schlag beenden wird. Hatte sich bereits auf dem tollen Vorgänger-Album „My Woman“ angedeutet, dass das Narrativ vom verträumten Naivchen viel zu kurz greift, ist Angel Olsens neuester Streich ein regelrechter Befreiungsschlag. So lässt sie auf „All Mirrors“ ihren kreativen Impulsen fast schon ungezügelt freien Lauf. Schluss mit Kammermusik – „All Mirrors“ ist ein dichtes Gewebe, in dem neben zahllosen Gitarrenspuren auch E-Beats, 80er-Synthies und Orchester-Arrangements kunstvoll vernäht wurden.

Der Ergebnis klingt aber überraschenderweise nicht zäh, ja nicht einmal besonders episch (eine der Lieblingsfloskeln, mit denen solche Alben beschrieben werden): „All Mirrors“ ist explosiv und atemlos. Auch wenn die Songstrukturen teils komplex sind (bestes Beispiel: der Opener „Lark“), bleiben sie doch straff arrangiert und münden immer wieder in krachige Eruptionen, die sich anfühlen wie ein Schlag in die Magengrube. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch auf „All Mirrors“ diese besonderen balladesken Momente, die den Hörer auf ihre Weise ebenso sehr packen und durchrütteln – so zum Beispiel das streicherverhangene „Tonight“, das einem schlicht das Herz bricht. „All Mirrors“ ist eine maßlose, verschwenderische Platte, die einfach überwältigt.

29.01.2020 München – Kammerspiele
30.01.2020 Berlin – Huxleys Neue Welt
05.02.2020 Hamburg – Grünspan

VÖ: 04. Oktober 2019 via Jagjaguwar