Text: Christian Selzer, 23. Juli 2021

Über eine Dekade ist es her, dass die Britin Annika Henderson ihren Job als politische Journalistin an den Nagel hing, ein „n” aus ihrem Vornamen strich und auf dem Debütalbum „Anika” knochentrockenen No Wave mit einer Gesangsstimme aus dem Permafrost kombinierte. Danach folgte erstmal wenig eigenes Material, doch 13 Jahre und eine Pandemie später meldet sich die Wahlberlinerin mit ihrem zweiten Longplayer „Change” zurück. Der Albumtitel ist dabei nicht als neoliberaler Imperativ zur Veränderung zu verstehen, sondern eher als Anspielung auf die eigene künstlerische Vita und den Drang, nach Kollaborationen mit Beak>, Shackleton, Tricky und Veröffentlichungen ihrer Band Exploded View nun den eigenen Stil neu zu justieren. „A vomit of emotions”, wie Anika selbst den Entstehungsprozess zu „Change” beschreibt.

Zwar sind No Wave und Dub immer noch die Pole, um die das Album kreist. Doch während das Debüt seine volle Wucht im Minimalismus skelettierter Songstrukturen entfaltete, webt „Change” ein engmaschiges Netz aus Electronica-Bruchstücken und Melodiefragmenten. Eine Verdichtung im Sound, die dazu führt, dass die Tracks ständig einer subtilen Spannung unterliegen. Auf Albumlänge erzeugt „Change” so mit vielen Nuancen einen atmosphärischen Wellengang, der einen nur schwer loslässt.

Ungewohnt sind außerdem die Farbtöne, die Anika ihrer sonst eher monochromatisch dominierten Klangpalette beimischt: Gleich der Opener „Finger Pies” schafft mit eingängigen Melodien einen faszinierenden Kontrast zur kargen No-Wave-Monotonie und ruft mit hallgetränkten Wahwah-Licks Assoziationen zum Rausch von 60’s Psychedelic hervor. Auch der titelgebende Track „Change” zieht für einen kurzen Moment die Vorhänge auf, um Anika mit der Abgeklärtheit einer Hohepriesterin optimistisch in die Zukunft blicken zu lassen: „I think we have it all inside/I think we can all learn from each other”. „Rights” hingegen ist ein hypnotischer Aufruf zu Empowerment und Selbstermächtigung, eine kämpferischer Appell, der mit repetitivem Basslauf und treibendem Gesang seinem Anliegen Nachdruck verleiht.

„Change“ markiert die Rückkehr einer Künstlerin, die mit ihrem eigenwilligen Stil Maßstäbe setzt. Ihren Sound hat Anika einem sanften Entwicklungsprozess unterzogen: vom spröden Minimalismus des Debüts hin zum eklektischen Avantgarde-Pop. Spätestens jetzt dürfen die ständigen Vergleiche mit Velvet-Underground-Muse Nico endlich ad acta gelegt werden.

26.04.2022 Heidelberg – Karlstorbahnhof
27.04.2022 Frankfurt – Milchsackfabrik

VÖ: 23. Juli 2021 via Invada Records