Text: Christian Selzer, 04. Februar 2022

Tutto grigio. Der pandemische Winter nagt an uns mit seiner alles betäubenden Tristesse. Mitten hinein in dieses Elend knallt eine musikalische Farbbombe: „Time Skiffs”, das erste Album von Animal Collective seit über einem halben Jahrzehnt, ist so bonbonbunt wie eine Tüte Tutti Frutti. Was könnte man sich gerade Besseres vorstellen, als auf wabernden Klangwellen in einen Bewusstseinszustand zu gleiten, der dem Inneren einer Lavalampe gleicht?

„Time Skiffs” taumelt los wie ein einbeiniger Matrose bei turbulentem Seegang. Erinnerungen werden wach an den übersprudelnden Ideenreichtum, der Ende der Nullerjahre Meisterwerken wie „Strawberry Jam” oder „Merriweather Post Pavilion” hervorbrachte. Schon der eingängige Opener „Dragon Slayer” enthält alles, was Animal Collective so liebenswert wie nervtötend macht. Frei fließende Strukturen bilden ein großflächiges Canvas für das wuselige Potpourri aus fremdartigen Geräuschen und Sounds. Loopartige Melodien schälen sich aus der dichten, wabernden Klangmasse heraus und werden dann wieder verschluckt. Darüber schweben mehrstimmige Chorklänge, die so tiefenentspannt klingen, als hätte Brian Wilson mit einer Meditations-App gespielt.

„Prester John” ist eine Mélange aus zwei Songs, geschrieben von Panda Bear und Avey Tare. Während der erste Teil mit funkelndem Synthie und exotischen Klangschalen haarscharf am Eso-Kitsch vorbeischrammt, treibt der mächtige Bass den Song in der zweiten Hälfte in psychedelische Höhen und schlussendlich in den Zauberpilzewald.

„Walker” schließlich ist die Hommage an Scott Walker, den 2019 verstorbenen Experimentalmusiker, der großen Einfluss auf den Sound von Animal Collective hatte. Obwohl es an fast allen Enden klöppelt und bimmelt, ist der Songaufbau zunächst fast klassisch, bevor dann die Melodien durcheinanderpurzeln wie ein Wurf Katzenbabys.

Nach knapp 47 Minuten ist Schluss mit dem grellbunten Trip. Die wichtigste Nachricht: Animal Collective finden mit „Time Skiffs” zurück zum hohen künstlerischen Niveau vergangener Tage. Die zweitwichtigste Nachricht: Mit dem Entschlüsseln des neuen Materials ist man bis zum Frühlingsanfang erstmal beschäftigt.

15.11.2022 Hamburg – Übel & Gefährlich
16.11.2022 Berlin – Kesselhaus
19.11.2022 (AT) Wien – Arena
20.11.2022 München – Freiheiz
27.11.2022 Köln – Luxor

VÖ: 04. Februar 2022 via Domino