Text: Nico Beinke, 14. Januar 2022

Einmal Anna von Hausswolff live in Montreux erleben. Diesen Wunsch konnte sie einem guten Freund leider nur posthum erfüllen – bereits 2013 ward die Idee geboren und für sie gestritten. Montreux war damals noch nicht bereit für die Schwedin.

Manchmal ist Montreux aber auch zu früh dran: „Talk Talk, Live at Montreux 1986“ ist das einzig offizielle Konzertvideo der Band. 1989 hätten Talk Talk schon wesentlich mehr nach Jazz geklungen. Damals gerade einmal den New Romantics entwachsen, standen Talk Talk dem Pop noch zu nah, um streng genommen dem Anspruch eines Jazz-Festivals gerecht zu werden. Wer den Auftritt kennt, weiß um die technische Brillanz der Engländer, und so erklärt sich wohl auch die Einladung von Hausswolffs zum alljährlichen Hauptfest des Jazz, denn brillant ist ihr sakraler Prog-Doom-Pop ebenso. Wobei die Bezeichnung Doom-Pop streng genommen einen Widerspruch in sich darstellt, ein Oxymoron also. Die Schwedin selbst nennt ihr Schaffen Funeral Pop.

Zu den schleppenden (doomigen) Gitarrenriffs, die es mittlerweile nur noch selten zu hören gibt, geht der Doom von der Orgel aus. Von Hausswolffs sirenenartiger Gesang wird zumeist auf Nebelschwaden umwobene Drones gebettet, die aus den Tiefen des Schicksalsberges zu uns herüberwehen. Kein Sirenengesang der klassisch griechischen Mythologie, sondern eher den jährlichen, deutschlandweiten auf- und abschwellenden Sirenentests ähnlich. Gesangslehrer:innen unter uns werden sich freuen und sich Anna von Hausswolff als Schülerin wünschen.

Warum das trotzdem – und vor allem deswegen – so gut klingt und ein fulminantes Live-Erlebnis darstellt? Das bleibt so mysteriös wie die Musik der Schwedin. Jedenfalls sah sich Montreux 2018 diesem dantischen Inferno gewachsen und wird es wohl kaum bereut haben. Nach den abschließenden 15 Minuten des großartigen „Come Wander With Me Deliverance“ rutscht Anna von Hausswolff ein schüchternes Lachen heraus, welches beinahe im Applaus untergeht. Ein Ausdruck der Rührung, als eine Art Statement in vermeintlich düsteren Zeiten die Begeisterungsfähigkeit nicht zu verlieren.

VÖ: 14. Januar 2022 via Southern Lord / Pomperipossa Records