Text: Nils Hartung, 19. März 2021

Es ist schon eine Weile her, dass sich Richard Parry und Sarah Neufeld – beide Teil der musikalischen Stammformation um Arcade Fire – mit dem Bell Orchestre für Aufsehen sorgten. Unter dem Eindruck der Funeral-Sessions scharrten Parry und Neufeld 2003 einen Haufen experimentierfreudiger Multi-Instrumentalist*innen zusammen, die sich einem freien musikalischen Geist verschrieben. Während auf dem 2005 erschienenen Debut „Recording A Tape The Colour Of The Light” der Funeral-Vibe noch hörbar weiter schwingen durfte, emanzipierte sich der Nachfolger „As Seen Through Windows“ von 2009 merklich vom Arcade-Fire-Thing. Streicher und Synthies wurden deutlich expressionistischer miteinander verzahnt und der Improvisation einen höheren Stellenwert eingeräumt.

„House Music“ erlöst nach üppigen zwölf Jahren Wartezeit nun all jene, die eine musikalische Fortsetzung des Sextetts herbeigesehnt hatten. Allerdings ist das Bell Orchestre anno 2021 nicht darauf aus, seine Vergangenheit zu reinszenieren. „House Music“ klingt wie ein Neuanfang, der tradierten und selbstreferenziellen Strukturen den Finger zeigt. Im Zentrum steht nicht ein einzelner Track, sondern die Schöpfungskraft der Session. Die römische Bezifferung der Tracks hilft allenfalls bei der Bestimmung des musikalischen Verdichtungsgrades. „I: Opening“ stellt ein gezupftes Drei-Töne-Ostinato vor, um dessen Kern Synthie- und Streicherflächen im nachfolgenden „II: House“ oszillieren. „III: Dark Steel“ nimmt die Bläser in die Pflicht und wird zum Steigbügelhalter für eine tribalhafte Drum-Explosion in „IV: What You’re Thinking“. „V: Movement“ könnte mit seinen spacigen Chorgesängen einer durchgeknallten Sci-Fi-Serie als Theme-Song dienen, für die noch ein Drehbuch geschrieben werden will. „VI: All the Time“ beschließt das Ende des ersten musikalischen Aktes. „VII: Colour Flieds“ dockt in der zweiten Hälfte an die bekannte Ostinator-Figur an und führt uns nun in deutlich sphärischere Gefilde, in denen perkussive Basiselemente sich nach und nach in den Hintergrund fallen lassen. „IX: Nature That’s It That’s All“ kommt schließlich ganz ohne Bodenhaftung aus und entschwindet leise pluckernd in eine ferne Galaxie.

Klar ist, dass sich die extrem verdichteten Klangwelten des Bell Orchestre auch nach vielen Hördurchgängen nicht vollends erschließen lassen. So dürfen sich Hörer*innen, die es mit „House Music“ aufnehmen wollen, allerdings auf überbordenden Fassettenreichtum freuen, der nicht passiv vorbeirauschen, sondern aktiv erlebt werden möchte.

VÖ: 19. März 2021 via Erased Tapes