Text: Stefan Killer, 04. Mai 2021

Big | Brave ist eine Band, die heute nicht weiter weg sein könnte von ihren musikalischen Wurzeln. Das instrumentale Folk-Experiment hat sich über die Jahre als dreigliedriger Doom-Koloss entpuppt. So ist eine Musik entstanden, die Album für Album, Song um Song, Takt um Takt immer wieder zerbricht, nur um unbequeme Perspektiven und Sounds aus der Tiefe zu holen. „Vital“, das neue Album, ist keine Ausnahme.

Schon in der ersten Zeile von „Abating the Incarnation of Matter“ stellt das Trio den Leitgedanken des Albums vor: „a weighted thought swallowed whole“. Dieser vorbelastete und weitergegebene Gedanke soll identitätsstiftend werden für jeden Ton, der noch kommt. Seien es langsam kriechende Kracheskapaden oder atmosphärisch sanfte Plätze, die zum Innehalten einladen, „Vital“ ist Produkt dessen, was Robin Wattie zum Text des zweiten Tracks, „Half Breed“, zu sagen hat:

Als es an der Zeit war, meinen Teil zu diesem Album beizutragen, fand ich, dass es keinen besseren Weg gäbe, diese Worte in sich aufzunehmen, als durch die Wahrnehmung der Klangschwingungen.

Die Zeilen aus „Half Breed“ stammen aus Alexander Chees Essayband „How to Write an Autobiographical Novel“ und beschreiben das Gefühl ethnisch gemischter Identitäten, das sich breitmacht, wenn diese weder von der einen noch der anderen Kultur Akzeptanz erfahren. In dieser misslichen Lage ist auch Robin Wattie in Montreal, Kanada, aufgewachsen. Mit Gitarrist Mathieu Ball und Schlagzeugerin Tasy Hudson bringt sie ihren Unmut und ihre Ohnmacht darüber zum Ausdruck. Hoffnung schwingt manchmal mit, wenn auch kaum nennenswert („Wited. Still and All…“).

Der Kontrast ist dem Trio geglückt. Bis zum tosenden Finale wiegen die drei Musizierenden Glockenklänge mit verzerrten Akkorden auf, spirituell anmutende Verzweiflungsrufe mit heillosem Gitarrenfeedback, rhythmische wie führende Rollenbilder mit deren musikalischen Karikaturen. Big | Brave stellt auf „Vital“ die Leitkultur mit dem Rücken zur Wand und legt den Finger in die tiefste Wunde postkolonialer Herrscherkulturen – die Privilegien alter weißer Männer.

VÖ: 23. April 2021 via Southern Lord