Text: Nico Beinke, 20. Januar 2020

Kennt ihr das, wenn schon nach 30 Sekunden klar ist, dass einem diese Musik von nun an erhalten bleiben wird? Liebe auf den ersten „Blick“ – sowas gibt es vielleicht nur in der Musik. „Countless Branches“ umströmt eine Aura aus Weisheit und Bescheidenheit. So als ob der Opa von früher erzählt, aber nicht um zu belehren, sondern eher um seine Erfahrung zu teilen, so wie in „Father and Son“ von Cat Stevens vielleicht.

Vor 50 Jahren veröffentlichte Bill Fay sein erstes Album (selbstbetitelt) auf dem Decca-Label Deram. Decca befand sich, seit sie 1962 auf ein Signing der Beatles verzichteten, bereits in der Krise. (Die offizielle Begründung für diese fatale Entscheidung: „Gitarren-Bands würden aus der Mode geraten“). Dementsprechend werden die Hoffnungen in Bill Fay und sein Debüt groß gewesen sein – in Verkaufszahlen ausgedrückt wurden sie leider nicht erfüllt. Dieses Debüt ist allerdings eine echte Sensation, ähnlich wie Tim Buckley mit „Starsailor“ (ebenfalls von 1970) überführte Fay den leicht angestaubten Folk-Rock in die Avantgarde, indem er unter anderem Jazz-Elemente einbaute. Was wir bspw. von Wilco seit „Yankee Hotel Foxtrot“ kennen, da Jeff Tweedy Bill Fay zu seinen größten Einflüssen zählt.

Für „Countless Branches“ sind die Jazz-Elemente entfallen, nur der mittlerweile 77-jährige Brite am Piano und gelegentlich Streicher wie das Cello und der Kontrabass. Zehn Songs, die zumeist unter der Drei-Minuten-Marke bleiben, Klavier und diese ungemein versöhnliche Stimmung. Eine musikalische Darbietung wie sie mich kaum tiefer berühren könnte.

VÖ: 17. Januar 2020 via Dead Oceans