Text: Julian Tröndle, 19. August 2022

Im Opener des neuen Cass McCombs Albums beschreibt der US-Songwriter Musik als eine Geliebte, die ihn einst in Ketten zum Altar führte, um sich fortan von ihm mit Diebesgut füttern, und allsonntäglich rauschhaft vernaschen zu lassen. Und tatsächlich: Nach dem Hören von „Heartmind“, dem zehnten Studioalbum des Kaliforniers, erscheint diese Metapher erstaunlich plausibel. Zwischen dem treibenden Pop der Single „Karaoke“ und den formsuchenden Improvisationen des abschließenden Titeltracks entfaltet sich darauf nämlich ein in jeglicher Hinsicht großzügiges Album, das die besagte manische Liebesbeziehung eindrucksvoll beglaubigt.

So findet sich unter den insgesamt nur sieben Songs der Platte unter anderem ein luzider Michael-Hurley-Jam („A Blue, Blue Band“), eine melancholisch Space-Salsa („Krakatau“) sowie von zynischen Vögeln bevölkerter doomsday powerpop („New Earth“). Dass diese Heterogenität auf engstem Raum grandios funktioniert, verdankt das Album einer Fähigkeit des Musikers, die in der rastlosen Gegenwart des Pops viel zu selten geworden scheint: McCombs vermag schlafwandlerisch, zwischen stumpfer und eleganter catchiness zu unterscheiden. Und so sind da zwar überall jene unheimlichen Momente, in denen einen das vage Gefühl der Vertrautheit streift; die faule Antizipation wird aber schon gleich darauf jedes Mal durch eine überraschende Phrasierung oder Melodieführung unterwandert. Dieses intelligente Schattenspiel mit der Geschichte des Pop wird auf „Heartmind“ zudem mit einer sagenhaften Virtuosität ausgeführt, die allenfalls noch mit der von Jim O’Rourke, Nicholas Krgovich oder anderen brilliant freaks der Pop-Avantgarde vergleichbar ist.

Zur Perfektion getrieben wird das betörende Spiel spätestens auf „You Belong To Heaven“ – ein Song von solch erhabener Schönheit, dass man inständig hofft, dieser bekommt endlich die Aufmerksamkeit, die all den anderen makellosen Songs seines reichen Backatalogs („Brighter!“, „That’s That“ oder „Medisa’s Outhouse“, um hier nur einige zu nennen) bislang verweigert wurde. Wobei: Eigentlich scheinen sich McCombs und seine Hörer:innen mit seiner Rolle als eifriger, aber ungeliebter Solitär mittlerweile gelassen arrangiert zu haben – eine Rolle, für deren Beschreibung sich abermals eine Zeile aus dem eingangs zitierten Opener aufdrängt: „Like a private island in quarantine / No boat in, no boat out“. Vielleicht kann dieser Text zumindest ein schmaler Korridor für ein Floß Geimpfter sein…

06.10.2022 (CH) St Gallen – Palace St Gallen
07.10.2022 Schorndorf – Manufaktur
19.10.2022 Köln – Artheater
22.10.2022 Berlin – Frannz Club

VÖ: 19. August 2022 via ANTI-