Text: Julian Tröndle, 04. Februar 2022

Ein pulsierendes Ausatmen und gedämpfte Glockenschläge im verlässlichen 4/4-Takt – so beginnt es, das neue, sechste Studioalbum von Cate Le Bon. Während andere Musiker:innen dieses Fundament nun vorhersehbar sukzessive verdichtet hätten, führt die Waliserin den Opener „Dirt On The Bed“ mit jedem neuen Element ein Stück weiter einem Abgrund zu. Ein entfesseltes Saxophon, suchende Gesangs- und Bass-Linien – alles scheint hier einer geheimen Eigenlogik zu gehorchen. Erst nach einer verstörenden Eingewöhnungsphase ergibt sich daraus ein fragiles Gewebe. Doch bräche jetzt nur der Bass weg, denkt man sich, jegliche Orientierung wäre wieder dahin.

Der Bass nimmt auf „Pompeii“ überhaupt eine Schlüsselrolle ein: So wurde die Mehrzahl der Stücke auf Basis von Bassläufen komponiert. Auch alle weiteren Spuren spielte die Multiinstrumentalistin Le Bon im Anschluss eigenhändig ein. Einzig für die Saxophon-Parts (Euan Hinshelwood) und für die Drums (Stella Mozgawa) holte sie sich Unterstützung ins Studio. Ist der quasi-religiöse Gestus, mit dem sie sich für das Artwork auf Leinwand hat bannen lassen also gar ein narzisstischer Kurzschluss? Der Ausdruck eines Genies im Rausch?

Nein, vermutlich ist die Inszenierung eher als eine strenge, prophetische Mahnung angesichts einer drohenden Multiapokalypse zu deuten. Zwar werden die Themen Pandemie und ökologischer Kollaps nie sekkant ausbuchstabiert; in vielen Zeilen des Albums klingen sie als Chiffren dennoch unterschwellig an. So singt sie in „Running Away“ von einem Brunnen, der die Welt mitsamt ihrer Schönheit unweigerlich zu verschlingen drohe. Ihre wütende Ohnmacht angesichts der menschlichen Rolle im Anthropozän findet ihren Ausdruck letztlich auch in der Musik des Albums. Denn auch wenn der funkige Albumvorbote „Moderation“ zunächst ein Hit-Feuerwerk versprach (im Ernst, mehr Funk ist von einer Waliserin beim besten Willen nicht zu erwarten), dominiert auf den anderen Stücken ein unheimlicher Art-Pop, der zur ständigen Wachsamkeit ermahnt. Oder wie Le Bon selbst es formuliert:

Jemand spielt mit dem Fokusobjektiv. Die Welt steht in Flammen, aber die Mülltonnen müssen am Dienstagabend raus. Ich setze einen Groove dahinter, um etwas zum Festhalten zu haben. Der Kummer ist in den Saxophonen.

Auf „Pompeii“ erweist sich Cate Le Bon somit abermals als singuläre Songwriterin der Gegenwart. Eindrucksvoll bestätigt sie auf „Pompeii“ die ehrfurchtsvolle Charakterisierung ihres Kollaborateurs Bradford Cox von der Band Deerhunter:

There are artists who look inwards or outwards, and then there are the very rare ones who transcend either location.

Außerdem freuen wir uns sehr, Cate Le Bon für ein Open Tape gewinnen zu können. Die Waliserin hat in ihrer digitalen Plattekiste gestöbert und für NEØLYD ein ziemlich schräges Tape kompiliert. Wir bedanken uns recht herzlich und empfehlen einen ausgiebigen Lausch. Enjoy!

02.04.2022 Schorndorf – Manufaktur
03.04.2022 Leipzig – UT Connewitz
05.04.2022 Berlin – Frannz Club
06.04.2022 Hamburg – Nochtspeicher

VÖ: 04. Februar 2022 via Mexican Summer