Text: Julian Tröndle, 01. Februar 2021

Es ist der klassische Konfliktherd in der Beziehung zwischen Fan und Künstler*in: Während die eine Seite sich einst in einen distinkten Sound verliebte und nun konservativ dessen Replikation verlangt, drängen die eigenen Ambitionen die andere zu einer ständigen Häutung und Neuerfindung. Meine Beziehung zum US-Songwriter Chris Garneau war lange Zeit genau von diesen sich kreuzenden Erwartungen belastet. Sein Album „Music For Tourists“ aus dem Jahr 2007 war für mich eine Offenbarung: Ein entwaffnend fragiles Klavieralbum, dessen traurig-zarte Magie man sich mit dem brutalen Vokabular der Musikkritik kaum erschließen kann. Ich versuche es daher mit einer literarischen Metapher Max Porters: Die Musik auf „Music For Tourists“ ist „wie der Puls eines Rotkehlchens, nicht einmal das, die leere Luft, wo vorher mal ein Rotkehlchen war, die Partikelerinnerung an den Puls, kleiner als Licht.“ – Immerhin: Eine Annäherung.

Drei weitere Alben sind seither erschienen; jedes einzelne ein auf seine Art missglückter Versuch, die minimalistische Zartheit des Debüts sinnvoll zu transformieren. Jedes Mal erwartete ich sehnsuchtsvoll die reduzierte Perfektion des Debüts und bekam stattdessen karnevalesk angehauchten Kammerpop („El Radio“, 2009), entrückte Hall-Experimente („Winter Games“, 2013) und – zuletzt – metallisch schillernden Stadion-Bombast („Yours“, 2018). Anders als bei seinem Queer-Pop-Kollegen Mike Hadreas (aka Perfume Genius), dessen Kariere ebenfalls mit einem intimen Klavieralbum begann, schien diese verzweifelten Suchbewegung bei Garneau letztlich keine ästhetische Vision zu verfolgen. Vielmehr befeuerte jedes neue Album meinen gemeinen (und deshalb geheimen) Wunsch, jemand möge doch bitte nachts in sein Studio eindringen und bis auf den Flügel alles mitnehmen, um den Künstler endlich aus seiner unglücklichen Orientierungslosigkeit zu erlösen.

Und siehe da: Diese Forderung nach ästhetischer Rückbesinnung wird auf „The Kind“, dem neuen Chris Garneau Album, tatsächlich an einigen Stellen erhört – und das scheinbar ganz ohne delinquente Intervention. Der Song „Old Code“ eröffnet die Platte mit zaghaften Klavierakkorden, die erst gegen Ende in perkussiv evoziertem Pathos aufgehen. Eine ähnlich klimaktische Entwicklung von samtener Intimität zur großen Geste nimmt auch der Song „Little While“, wobei hier nicht ein Drumset, sondern Synthesizer und Stimmmodulation als Katalysator wirken. Noch erfreulicher ist allerdings, dass durch diese wiederkehrenden Momente der Kontemplation auch die mehrschichtigeren Arrangements plötzlich in einem ästhetischen Gesamtkonzept aufgehen, da sie als bewusste Leerstellen die Musik dynamisch strukturieren. Ähnlich wie auf dem Debüt vermittelt Garneau mit seiner zwischen Oktaven traumwandelnden Stimme virtuos zwischen diesen stillen Zäsuren und versöhnt so nach 15 Jahren des Wartens doch noch die eigenen künstlerischen Ambitionen mit dem fanseitigen Anspruch auf Kontinuität.

VÖ: 29. Januar 2021 via Creepy Crawler Publishing (BMI) / Private Friend Records