Text: Nico Beinke, 22. Oktober 2021

In manchen Momenten schießt mir ein bestimmter Ausspruch Sokrates‘ immer mal wieder durch den Kopf: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Und damit die Gewissheit, dass ich unbedarftes Menschlein nicht immer alles und jeden verstehen muss, und kann, und sicher auch gar nicht sollte. Wie schlimm kann es daher sein, wenn Haley Fohrs sechstes Album („-io“) als Circuit des Yeux mir zur Sphinx geworden ist? Weiß ich doch immerhin genug, um meine Grenzen zu kennen.

Manchmal muss es einfach reichen, etwas zu erfühlen und zu erahnen, dass Kunst vor allem dann entsteht, wenn sie sich eben nicht sofort offenbart. Vielleicht sogar nie, oder es ist nicht wichtig genug, es sich zu erarbeiten, wer weiß. Ein gelegentliches Heureka!, als eine Art Teilerfolg im steten Kampf mit der Kunst, soll demjenigen reichen, der zwar weiß, dass er nicht nichts weiß, aber die Demut besitzt, es gut sein zu lassen, wenn der Kampf gegen Windmühlen droht.

Nehmen wir mal exemplarisch „Sculpting the Exodus“; hier ist irgendwie alles tief, gerne auch neudeutsch deep, aber auch buchstäblich. Haley Fohrs Stimmlage ist dem Alt entsprungen und gemeinsam mit imposanten Kontrabass-Arrangements, mit einem präludierenden Cembalo begleitet sie den ihrigen Exodus mit einem Ehrfurcht gebietenden Vibrato. Sie singt im Übrigen gerne über Aliens und schwarze Löcher — also noch mehr Kram, den niemand so wirklich begreift. Anstelle eines Heurekas gibt es an dieser Stelle eher ein ratloses Heidewitzka — aber nicht, ohne dieses – zwar überkandidelte – Werk einer schwer begabten Musikerin zu loben, denn Kunst entsteht sicher auch wenn sich Menschen verdutzt am Kopf kratzen. Irgendwie kommt mir noch Anna von Hausswolffs „The Miracolous“ in den Sinn, denn der Doom geht hier von der Orgel aus (denn die gibt es während „-io“ ebenfalls). Im Falle Circuit des Yeux ist Doom allerdings eher ein Euphemismus für Abgründigkeit.

VÖ: 22. Oktober 2021 via Matador Records