Text: Julian Tröndle, 15. November 2021

Auf seinem letzten Album „Everyday Robots“ (2014) sezierte Damon Albarn noch desillusioniert die Entfremdung des urbanen Menschen angesichts einer rastlosen und überfordernden Gegenwart. Thematisch knüpfte er damit in gewisser Weise an den juvenilen Kulturpessimismus des Blur-Klassikers „Modern Life is Rubbish“ (1993) an, auch wenn sich seine damalige Kritik am Thatcher-Liberalismus auf dem Solo-Debüt in eine traurige Soziologie des Lebens in der digitalen Spätmoderne verwandelt hatte. „It’s hard to be a lover when the TV’s on“, stellte er dereinst nüchtern fest und wies damit ebenjenen Liebenden bereits implizit einen Weg aus ihrer medial induzierten Abstumpfungsspirale – ein Ausweg, der nun, sieben Jahre später, vom Nachfolger konsequent ausformuliert wird.

Denn Albarn scheint mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem er die Moderne, statt sie zu hinterfragen, endgültig aufgibt und sich selbst überlässt. Auf seinem neuen Album zieht sich der einstige Advokat der britischen Working-Class daher dorthin zurück, wo keine Newsfeeds und LED-Bildschirme mehr flimmernd um seine Aufmerksamkeit buhlen: In die reine, noch nicht von Menschenhand überformte Natur, die sich Albarn – wenn man der klischeetriefenden Darstellung des Pressetexts glauben darf – während einer Islandreise vergangenes Jahr offenbarte. Der einem Gedicht von John Clare entlehnte Albumtitel „The Nearer The Fountain, More Pure The Stream Flows“ ist daher durchaus programmatisch zu verstehen: Albarn näherst sich dem tieferen Sinn der menschliche Existenz nicht mehr durch Analysen des urbanen Zusammenlebens; neuerdings vermutet er ihn, ganz in der eskapistischen Tradition der Romantiker, hinter Felsformationen und Geysir-Seen. Wenn er den Entstehungsprozess des Albums beschreibt, glaubt man sich daher beinahe, einem Entfesselten aus dem Höhlengleichnis gegenüber:

I have been on my own dark journey while making this record and it led me to believe that a pure source might still exist.

Die ursprünglich als Orchesterwerk geplanten, opulenten Arrangements unterstützen dieses transzendentale, Rousseausche Programm, wobei experimentelle Instrumentals und insbesondere die eingearbeiteten Field-Recordings von Vögeln und isländischen Regenschauern die authentische Erfahrung ästhetisch zu beglaubigen versuchen. Tatsächlich aber trübt letztlich genau dieser romantizistische Überbau den Blick auf die eigentlichen Qualitäten eines Albums, das in seiner verspielten Melancholie passagenweise an das großartige Debüt von The Good, The Bad & The Queen erinnert. Besonders die Balladen „Daft Wader“ und „Particles“ entfalten in ihrem fragilen Größenwahn eine ungemeine Intensität. Und spätestens wenn Albarns fragiles Timbre wie im Song „Darkness To Light“ unerschrocken am Falsett scheitert, erfährt man auch als Nicht-Bekehrter mehr über die Natur des Menschen als einem der Wind oder das Meer jemals werden verraten können.

07.03.2022 Hamburg – Elbphilharmonie

VÖ: 12. November 2021 via Transgressive Records