Text: Julian Tröndle, 15. Oktober 2021

Dean Wareham zählt zu jenen vernachlässigten Ikonen des Indie-Pops, deren Nennung in Gesprächen mit anderen Musiker*innen zuverlässig weinkennerisches Kopfnicken provoziert. Denn als Sänger und Gitarrist von Galaxie 500 prägte er bereits Ende der 80er einen Stil, der mit verwaschenen Gitarren, becken-schwangeren Drumloops und seinen synthetischen Streicherhimmeln zurecht als Taufpate für spätere Spielarten des Genres wie Dream Pop oder Slowcore bezeichnet wird. Und dennoch: Es wäre voreilig, seine pophistorische Leistung einzig auf diese hall-induzierte Entgrenzung des Gitarren-Pops zu reduzieren. Mit seiner Zweitband Luna und seinen Soloaktivitäten arbeitet Wareham seit dem Ende von Galaxie 500 nämlich beharrlich an einem soundästhetischen Kontrast-Entwurf, der in seiner traditionsbewussten Klarheit nunmehr weniger an den Space-Rock von Spaceman 3 als an sorgsam entschlackte Scott-Walker-Alben erinnert.

Als läge die Referenz nicht eh bereits auf der Hand, wird besagtem Scott Walker auf dem neuen Album dann auch mit einem Cover seines alterslosen Klassikers „Duchess“ gehuldigt, wobei das ursprüngliche Orchester hier durch eine countryeske Slide-Gitarre substituiert wird. Überhaupt kann der Song als soundästhetische Blaupause für den Rest des Albums betrachtet werden: Anders als im mitunter diffusen, multischichtigen Klangbild von Galaxie 500 hat hier alles seinen festen Platz und Geltungsbereich. Durch die ausdifferenzierte Produktion Jason Quevers entsteht so ein sowohl schwelgerisches als auch aufgeräumtes Gesamtbild, das sich lediglich im Abschlusssong „Why Are We In Vietnam?“ ins nebulöse Dickicht verkriecht – vermutlich ein Versuch der Beschwichtigung gegenüber den verprellten Fans seines Frühwerks.

Auch narrativ betritt Wareham mitunter ungewohntes Terrain. In „The Last Word“ wagt er beispielsweise einen Ausflug ins historische England und besucht Eleanor Marx, Tochter des Gesellschaftstheoretikers und erste Übersetzerin von Flauberts Madame Bovary ins Englische. Wareham schildert in der ersten Person deren letzte Gedanken, kurz bevor sie das tragische Ende ihrer literarischen Heldin Bovary mittels Blausäure nachahmt. An einer anderen Stelle des Albums taucht die marxsche Machtkritik nicht nur als Epiphänomen auf: So übersetzt „The Corridors Of Power“ eine dessen Kernthesen, wonach nicht das Sein der Menschen durch ihr Bewusstsein bestimmt wird, sondern – umgekehrt – ihr gesellschaftliches Sein ihr Bewusstsein determiniert, in die etwas hüftsteif anmutenden Punk-Zeilen:

In the corridors of power / in the house of games / they told us we should just wait (…) at the top of the hour / people who live in houses like that don’t know

Momente des plumpen politischen Sendebwusstseins wie diese sind es, die den übereilten Verdacht wecken, dass mit dem neuen Ordnungsbestreben innerhalb der Musik teils auch ein Verlust der lyrischen Doppelbödigkeit einherging. Dabei verbergen sich auf dem Album – vom eben erwähnten Song einmal abgesehen – selbst hinter scheinbar trivialen Zeilen teils vielschichtige Verweise auf Texte von zeitgenössischen Autor*innen wie Zadie Smith oder Julian Barnes. Und selbst wem diese Referenzen verborgen bleiben, wird beim Hören die vermeintliche Unmittelbarkeit der Lyrics in Kombination mit dem brüchigen, altersweisen Timbre des beinahe 60-jährigen Indie-Veteranen als wunderbar entwaffnend erleben. Bereits der Opener bricht einem mit seiner 9/11-Erinnerung auf diese Weise sanft und unweigerlich das Herz, bevor die anschließenden neun Songs es in der Tradition großer amerikanischer Folk-Alben wieder behutsam zusammenflicken.

08.02.2022 Köln – Gebäude 9
09.02.2022 Berlin – Bi Nuu
10.02.2022 Hamburg – Nachtasyl

VÖ: 15. Oktober 2021 via Double Feature Records