Text: Jan-Frederic Goltz, 22. März 2019

Hamburg 1994. Der blutjunge und (fast) unbekannte Dirk von Lowtzow pult im LOGO auf einem Konzert von Die Regierung für Sänger und Gitarrist Tilman Rossmy ein Plektron aus seiner Cordhose und reicht es ihm auf die Bühne. Dunlop, grau. Kurz darauf löst sich die Band auf, noch vor den kommerziellen Erfolgen und den goldenen Zeiten (L’age d’or) der neuen Hamburger Schule Generation um Blumfeld, Die Sterne und Tocotronic. Wie absurd diese Geschichte eigentlich ist, realisiert man erst im Nachhinein. Man fragt sich „Was“ hat damals nicht sein sollen? Bestimmt hatte das gute Gründe. Persönliche, finanzielle, was auch immer – das Wissen darum hat nur Rossmy selbst. Und das die ersten Alben der Band alle samt ein ziemlicher Flop waren, verstehe ich bis heute nicht.

Hamburg 2019. Die Regierung bringt ihr sechstes Studio Album mit dem Titel „Was“ heraus, welches sich im letzten Jahr bereits mit der ironischerweise „Vielleicht in Hamburg“ betitelten Single ankündigte. Rossmy spielte mit der quasi neugegründeten Regierung anlässlich seines 60. Geburtstages eine Tour quer durch Deutschland.

„Was“ selbst handelt von den alten Tage einer mehr oder minder vergessenen Zeit. Jetzt kommt also das Alter, das uns wehmütig sinnieren lässt, um dem Sinn im Allgemeinen ein kleines Stückchen auf die Schliche zu kommen oder aber die Zusammenhänge des eigenen Daseins mit nötigem Abstand besser verstehen lässt. Ob das Album nun dazu dienen soll, den gesamten Vergangenheitsschlauch zu verarbeiten, vermag ich nicht zu sagen, schließlich geht es wehmütig und nostalgisch, aber durchaus hoffnungsvoll um Rossmys persönliche und autobiographische Geschichte, dessen inhaltlicher Faden sich stringent durch das gesamte Album webt. Geschichten über die auf dem Weg verloren gegangene Liebe, Einweisung in die Psychiatrie, Kämpfen gegen die innere Dämonen, den Umzug nach Hamburg (die Stadt, die damals viel Möglich zu machen schien), den Rückzug aus Vernunft oder sämtliche Schicksalsschläge – also das, was Rossmy auf eigentlich all seinen Platten immer schon bildhaft darstellen konnte. Jetzt vielleicht ein wenig väterlicher und selbstreflektierter, als noch mit Anfang-Mitte dreißig.

Dabei versucht die Band musikalisch keineswegs die 90er Jahre stumpf aufzuwärmen oder zu mimen. Nichts kommt mehr rotzig daher, schließlich ist man mit 60 Jahren emanzipierter und gebildeter, hat viel gesehen und andere Bedürfnisse, statt einfach nur lautstark gegen etwas zu sein oder zu appellieren – und sei es der innere Schmerz des Verlassenwerdens. Es sind Songs, die von Spielart und Stimmung stellenweise ein wenig an Element Of Crime erinnern. Country-Einschlag garantiert („Regen“) und einfach verdammt charmant gesungen und getextet, wie man es von Rossmy nun mal kennt. Das dieser Vergleich keineswegs hinkt, beweisen Stücke wie „Vielleicht in Hamburg“, das fast schon das Potential hat, dem mir heiß geliebten „Delmenhorst“ den Rang abzulaufen. Aber ich hatte es auch schon immer mit Liedern, die nach Städten benannt sind.

Apropos damals: Da war zumindest bei Die Regierung wenig Synthesizer im Spiel. Glaube ich. Keyboarder Ralf Schlüter leistet hier ganze Arbeit und spielt auf „Mörder“ wunderbar flächige Chords und Melodien, untermalt von den schönen Bassläufen des Robert Lipinski. Stimmt schon, was uns Rossmy da ins Ohr flüstert: Komm raus aus deiner Komfortzone. So ist „Zeit“ ein leicht jazzig angehauchtes Stück, das prima vor sich hingroovt. Die neue Formation tut der Regierung gut, obgleich ich mir gerade aus heutiger Sicht den damals im Zuge der Auflösung verloren gegangen Mense Rents (u. a. Die Goldenen Zitronen) dazu gewünscht hätte. Aber da sich scheinbar immer noch alle beim imaginären Jahrgangstreffen der Hamburger Schule wiedersehen, hat in diesem Zuge der von mir verehrte Jakobus Durstewitz das Artwork des Covers gestaltet.

Ich befürchte, jede Rezension des Albums befasst sich ab einem gewissen Absatz mit der Frage, was eigentlich das „was“ auf „Was“ bedeuten soll. Schließlich ist „was“ ja fast so eine schlimme Frage, wie die Frage nach dem „warum“. Nach dem Durchhören des Albums bleibt mir persönlich als Antwort und Eigeninterpretation nur eine Frage als Antwort übrig, die man sich im Leben in gewissen Abständen nur allzu gerne selbst stellt: Was – ja was wäre gewesen wenn? Ich weiß zumindest was passiert, wenn man „Was“ nicht kauft: Man verpasst was – nämlich ganz tolle Geschichten, von einem alten und sehr klugen Hasen, dem man besser ein Ohr schenken sollte. Oder zwei. Ist ja schließlich bald Ostern.

Notiz auf Konzertticket vom 23. August 2018:

Dieser schöne Moment am späten Abend im Knust, als der Altrocker mit den langen grauen Haaren lachend, aber den Träne nahe mit einer Pulle Astra am Bühnenrand lehnt, still und nur für sich alleine nostalgisch ein mir bis Dato völlig unbekanntes Lied von Die Regierung mitsingt: „Diesen Sommer zugehört wie der Regen fällt. Hab Deinen Namen gehört in einer Bar am Ende der Welt. Hab mir ’nen Ticket gekauft von meinem aller letzten Geld. Und der Regen fällt. Wenn es immer noch wahr ist, wenn Du immer noch da bist, dann würde ich gerne nach Hause kommen, zu Dir.“


26.03.2019 Hamburg – Knust
27.03.2019 Berlin – Badehaus
28.03.2019 Hannover – Béi Chéz Heinz
29.03.2019 Bremen – Lagerhaus
30.03.2019 Essen – Zeche Karl
31.03.2019 Köln – Subway
01.04.2019 Frankfurt – Brotfabrik
02.04.2019 München – Unter Deck
03.04.2019 Viechtach – Altes Spital
04.04.2019 Nürnberg – Club Stereo
05.04.2019 Stuttgart – Merlin

VÖ: 22. März 2019 via Staatsakt