Text: Stefan Killer, 29. Oktober 2017

Zwei gelb-orange Lichter knattern die steinige Straße entlang. Links und rechts nichts als Bäume. Der Fahrer des Gedächtnis-Mercedes fährt die Böschung hoch, schert sich weder um die Buckel der Fahrbahn noch die Karosserie des Wagens. Er öffnet die Türen, um seine Mitfahrer in die kühle Landluft zu entlassen. Dann schlendern die drei in Schwarz gekleideten Gestalten die Auffahrt hoch, keiner spricht. Zwei, drei Blicke schweifen in das Idyll aus grünen Hügeln, taubedeckten Wiesen und Wäldern, während der Wagen hinter ihnen abfährt.

Beide Eingangsflügeltüren des alten Hotels öffnen sich. Die Männer legen ab, checken beinahe wortlos ein.

Mit ernster Miene spazieren sie von Raum zu Raum – das Hotel ist so gut wie verlassen. Tageslicht erhellt die Nische durch das große abgerundete Fenster, vor dem die drei neuen Hotelgäste sich jetzt platzieren. Chris Hell hebt von einem alten Kolonialstil-Schrank seine Gitarre, um mit „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an dich denk’“ die Live-Session auszuschreien. Deren erstes Lied heißt „Windschief“ und ist laut Tracklist das sechste auf dem neuen Album der Posthardcore-Band FJØRT. Frank Schophaus und David Frings sind Hells Begleiter an Schlagzeug und Bass.

Zusammen wandeln sie nach dem Session-Opener wortkarg durch die Hallen, halten nur dann und wann kurz an, um am Bartresen die Gläser zu heben oder sich während den anderen Stücken ihren Frust vom Leib zu brüllen. Mit den fünf Liedern der wohl jetzt schon legendären Hotelsession kommentiert FJØRT nicht nur aktuelle Missstände, sondern auch ihren Bandsound.

Es gibt Leute hier, die sehen die Fehler der Vergangenheit nicht mehr als Mahnmal. Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, das Maul zu halten

Textlich ist der Rechtsruck in Politik und Gesellschaft das klare Feindbild. Musikalisch wechseln sich Knüppel-Schlagzeug und in Hall getränkte Shred-Gitarren mit gefühlvollen Passagen voller unbehaglicher Harmonien ab. Mit den neuen Liedern beweist FJØRT nicht nur Mut zu der Kombination aus Meinung, großen Melodien und Hardcoreriffs, sondern auch zu neuen, fröhlich-dominanten Klängen. Auch E-Drumbeats und Loops kommen immer mal wieder zum Zug, um das Spektrum zu erweitern. Der große Unterschied zu den Vorgängeralben: Lieder wie „Raison“ basieren darauf. Deren Sprech- beziehungsweise Schreigesänge und das Instrumental erinnern teils an aufrührerische Rap- oder Crossover-Songs. Somit hat sich das Trio, ganz ohne Gastmusiker und ohne sich von seinen Wurzeln zu lösen, wieder ein Stück zu etwas Größerem weiterentwickelt.

Die Hotelsession hat die Band vergangenen September erstmals auf Facebook veröffentlicht. Kurze Zeit später war sie auch auf YouTube zu sehen. Dort ist sie aus bislang ungeklärten Gründen derzeit nicht mehr verfügbar. Wer es also noch nicht getan hat, sollte sich dieses knapp halbstündige Stück Musikvideo-Kunst via Facebook anschauen. Vor Kurzem veröffentlichte die Band das daran anschließende Video zu dem Titelstück von „Couleur“.

Ende dieses Jahres und Anfang 2018 geht FJØRT mit dem Album im Gepäck übrigens auf große Headline-Tour. Das Konzert in Münster ist schon ausverkauft, sodass die Band dort kurzerhand noch ein weiteres ankündigte. Die Auftritte in Lüttich und Paris mussten abgesagt werden. FJØRT schrieb dazu auf Facebook: „Die Gründe dafür liegen nicht in unserer Hand.“ Vorbestellungen für „Couleur“ sind noch möglich. Veröffentlichungstermin ist der 17. November 2017. NEØLYD wird die Platte bis dann ausführlich besprechen.

„Couleur“ reiht sich ein in die noch kurze, aber in Deutschland bereits genreprägende Plattenhistorie von FJØRT, welche am Ende der Hotelsession im Rahmen einer Art Vernissage gezeigt wird. Während die Band im hinterletzten Eck des Hotels die Schlusstöne eines Tracks der limitierten Bonus-Seven-Inch-Platte von „Couleur“ spielt, wandert der Zuschauer den Flur entlang. Ein Plattencover nach dem anderen. Von der Debüt-EP „Demontage“ bis zu dem wackelnden Federkopfschmuck der zwei Kinder, die dieses Video laufend enden lassen, um gleichzeitig das nächste – den Clip zum Titellied – und sich selbst als dessen Hauptdarsteller zu teasern.

18/01/2018 Münster – Gleis 22 (Zusatzshow)
19/01/2018 Münster – Gleis 22 (ausverkauft)
20/01/2018 Hannover – Musikzentrum
21/01/2018 Berlin – Lido
22/01/2018 Dresden – Beatpol
23/01/2018 Leipzig – Werk 2
24/01/2018 (AT) Wien – Chelsea
25/01/2018 München – Strom
26/01/2018 Stuttgart – Universam
27/01/2018 Saabrücken – JUZ Försterstraße
28/01/2018 Wiesbaden – Schlachthof
29/01/2018 Köln – Gebäude 9
30/01/2018 Hamburg – Knust