Text: Julian Tröndle, 14. Januar 2022

Das zweite Album der Australischen Songwriterin Grace Cummings konfrontiert uns mit einem zweifachen Bruch – einer ist ein unheimliches Faszinosum, der andere leider ein Ärgernis. Und doch haben sie eines gemein: Sie locken den Autoren dieses Textes in jene kontaminierten Gewässer, in dem sich berechtigte Kritik und sexistische Ressentiments scheinbar gefährlich nahe kommen. Doch der Reihe nach.

Der erste lauernde Fallstrick trägt den Namen Lookism: Es ist schlicht unmöglich, über die Musik von Grace Cummings zu sprechen, ohne ihren Körper miteinzubeziehen. Klar – grundsätzlich gilt für alle Manifestationen des Pop, dass die körperliche Performanz unmittelbarer Teil des Gesamtprodukts ist; die stimmliche Gewalt von Grace Cummings jedoch verlangt noch vehementer als bei anderen Künstler:innen nach der Aufklärung ihres Ursprungs. Anders aber als bei Brittany Howard oder – na von mir aus – Adele, bei der Stimme und Körper sozusagen kongruent sind (Entschuldigung!), produziert das Wissen um Grace Cummings‘ Äußeres eine bisweilen irritierende Ton-Bild-Schere. Denn Cummings ist sehr jung, sehr weiß und entspricht auch ansonsten in jeglicher Hinsicht den ästhetischen Kriterien einer nicht-woken H&M-Kampagne. Wenn über den reduzierten Arrangements aus Bar-Piano und trockenem Gitarren-Strumming ihr bebendes Timbre hereinbricht, zweifelt man daher nicht nur intuitiv das Ergebnis der Bildersuche an; man ist schlicht überwältigt von diesem unerschrockenen Pathos, dem besagte initiale Irritation effektvoll zuspielt. Ästhetisch ist das Album „Storm Queen“ also zweifellos ein Ereignis.

Und damit zum zweiten Bruch (dem Ärgernis): Diese grandiose Effektkulisse trägt leider nur, so lange es gelingt, die Textebene auszublenden. Denn dort wo man lyrische Abgründe vermutet, stößt man meist nur auf müde, juvenile Tagebuchpoesie. Oder anders gesagt: Die Form wird vom Inhalt zu keinem Zeitpunkt legitimiert. Um auch hier jeglichen Machismo-Verdacht in vorauseilender Vorsicht zu zerstreuen, sei diese Behauptung nun beispielhaft durch einige Zeilen aus dem Song „Here Is The Rose“ illustriert:

Here are the leaves, fallen / Safely after Autumn / Here is my hand to hold / I’m thinking about getting old alone

Ja, es ist beinahe tragisch: Da ist eine Stimme, die klingt, als wäre ihr jedes Leid der Welt, jeder inner- und zwischenmenschliche Abgrund vertraut; doch zu erzählen hat sie nichts. Zurück bleibt die Ahnung eines kondensierten Potentials, das hoffentlich auf dem nächsten Album eingelöst wird.

VÖ: 14. Januar 2022 via ATO Records