Text: Patricia Leuchtenberger, 20. September 2022

Etliche flache Alltagsphilosophien und tiefgreifende existentielle Ansätze helfen einem auch nach dem Konsum des synthetischen Pathos‘ „Freedomspacecake“ nicht dabei herauszufinden, was genau Garnelen mit „Freedom“, „Space“ oder „Cake“ gemein haben. Aber Harvey Rushmore & the Octopus ist diese Art von Band, der man zutraut, ihr selbstgegebenes Label auch nicht wirklich zu blicken. Und das ist ein hervorragendes Konzept: denn die Schweizer Rocker erkennen in ihrem dritten Album, dass es wichtig ist, sich in der Kunst nicht zu all ernst zu nehmen. So, ganz ohne Struktur und Norm, bleibt schließlich mehr Raum für freien Ideenreichtum und Ausgestaltung; die Platte wird mit dieser bezeichnenden Willkür erst nicht nur zum Leben erweckt, sondern entwickelt ein Eigenleben, welches der Gruppe letztendlich aus den Fingern gleitet.

Massimo Tondini, Jonathan Meyer, Jaköb Läser und Stefan Cecere veröffentlichten 2017 ihr Debüt „The Night“, das durch minutenlange Fingerstyle-Passagen sowie ruhigen Jazz-Drums und verzerrenden Vocodern einen einmaligen Soundtrack für träumerische, in der Wüste umherstreifende Punkliebhaber bietet. Mit dem ebenso ehrenvollen, doch mehr experimentellen Nachfolger „Futureman“ vereint nun „Freedomspacecake“ beide herausstechende Aspekte der Vorgänger miteinander. Mysteriösität, Lautheit, Exzess und Hall, Einfachheit, Melodizität ergeben einen durchmischten Haufen, der für Harvey Rushmore & the Octopus untypischerweise seine Höhen und Tiefen mit sich bringt. Höhepunkte der Dynamik erreicht die vierköpfige Band mit den Single-Auskopplungen „Speedmaster“ und „Harvey Stardust“ sowie „Spacegarage in Your Head“ und „Freedomspacecake“, ein achtminütiges Monstrum an elektrisierender Aufruhr. Kompositionen wie „The Wiper“, „Plastiq“ und „Bakerman“ folgen einem Surf-/Psychrock -Sound und stehen wunderbar für sich selbst, klingen im Zusammenhang des Großen und Ganzen allerdings deplatziert.

In Zeiten der Algorithmus- und Erfolgsbasierten Musikproduktion machen die hemmungslosen Improvisationen von Harvey Rushmore & the Octopus vermeintlich neue Dimensionen auf, die für Audiophile nur ein feuchter Traum ist. Dieser farbenfrohe Entfaltungsgeist spiegelt sich in jeder Note wider; und auch wenn dem Album nicht immer ein roter Faden folgt, muss das auch nicht so sein. Besonders gerade, wo die Zukunft unabkömmlich sowie unbezwingbar zu scheinen mag, brauchen wir Musik, die uns an die Hand nimmt und uns anschreit: „Kontrolle ist eine Illusion, und jetzt entspann dich mal!“ Diese Platte ist für alle, die genau das brauchen.

VÖ: 09. September 2022 via Taxi Gauche Records