Text: Julian Tröndle, 21. Januar 2022

Mit etwas Wille zur brutalen Vereinfachung lässt sich die Pop-Landschaft seit jeher grob in zwei Lager unterteilen: Da sind jene, deren Antrieb in der ständigen Suche nach neuen, singulären Ausdrucksformen besteht, während sich die andere Seite am reichen Fundus des Bekannten oder bereits Vergessenen abarbeitet. Stünde ich je vor der undankbaren Aufgabe, einen der beiden Ansätze per Dekret verbieten zu müssen; ich würde wohl ohne zu zögern den Blick zurück, die Lieder der ewig Gestrigen wählen – Ja, ich würde zum Lobbyisten von Musiker:innen wie Jake Xerxes Fussell.

Im Falle des Musikers und Gitarrenvirtuosen aus Columbus, Georgia ist besagter Blick zurück aber keinesfalls ein stumpfes Spiel mit Nostalgie oder gar übergriffige Wühltisch-Mentalität. Zwar schwingt in seinem Ansatz, Südstaatenmusik aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu adaptieren und so ins Hier und Jetzt zu überführen, stets ein latenter Cultural-Appropriation-Verdacht mit; seine Musik aber bezeugt unmittelbar eine resonante Wechselbeziehung zwischen den aufgespürten Traditionals und deren Re-Interpretation. Denn jede Note seines nuancierten Gitarrenspiels, jede Silbe seines rauchigen Vibratos wird hier zur ehrfurchtsvollen Verneigung vor den Schöpfer:innen des Ursprungsmaterials. Fussell versteht sich offenkundig nur peripher als autonomes Künstler-Genie; vorrangig ist er Bewunderer, Archäologe und Archivar des Beinahe-Vergessenen.

Während er auf den drei konzeptionell ähnlich gelagerten Vorgängern dabei auch Zeitreisen in die dampfenden Bluesclubs des Südens unternahm, tritt Fussell auf „Good and Green Again“ vorwiegend als melancholischer Troubadour in Erscheinung, dessen Gitarrenspiel statt von trockenem Drumming und Banjo-Picking nun von dezenten Bläser- und Streichersätzen akzentuiert wird. Bereits der Opener „Love Farewell“, dessen wärmend-soghafte Melancholie durch einen Gastauftritt Will Oldhams geadelt wird, ebnet den Weg für ein Album, das plumpe Innovationist:innen gewiss vorschnell als reaktionär brandmarken werden; jene aber, die das Vergangene nicht ideologisch verneinen, sondern es als reiche, niemals versiegende Quelle begreifen, sei nicht nur dieses Album, sondern Fussells Gesamtwerk uneingeschränkt ans Herz gelegt.

VÖ: 21. Januar 2022 via Paradise of Bachelors