Text: Oliver Schröder, 11. September 2017

„Das Model“, „Die Roboter“, oder „Computerwelt“: Es scheint irgendwie seltsam, dass der Klappentext mit der Erwähnung wichtiger „Charterfolgen“ beginnt. Erst dann kommt der unfassbare Einfluss, den Kraftwerk bis heute immer noch ausüben. Aber wahrscheinlich ergibt diese Reihenfolge einen besonderen Sinn, denn vor allem die genannten Hits waren die letzten 40 Jahre immer greifbar da. Gefühlt unterlegte ihr spezifischer Sound streckenweise jeden zweiten deutschen TV-Beitrag über Computer, Technik und Automatisierung. Der Mythos Kraftwerk zwar ebenfalls immer da, aber viel verrätselter, der Masse weniger zugänglich und vor allem diametral zum Output. Da gab es ja nicht mehr allzu viel Material seit den frühen Achtziger Jahren. Das Vermächtnis wuchs jedoch von Jahr zu Jahr. Die dieses Jahr erschienene Retrospektive „3-D – Der Katalog“ lässt weiterhin in erster Linie die Musik sprechen. Das Box-Set landete in Deutschland auf Platz 4 der Charts. Von den vielfach ausverkauften und international vielbeachteten Konzerten ganz zu schweigen. Womit wir dann doch wieder bei den messbaren Erfolgen wären.

Ein Einblick in das Innenleben des Kraftwerks ermöglicht nun Karl Bartos, der sein Mitwirken an der Soundarchitektur mit seiner persönlichen Perspektive verknüpft. Der Leser erfährt, wie die Familie aus Ungarn nach Deutschland kam, sich an das Rheinland gewöhnte und welchen Einfluss die Beatles auf Bartos‘ musikalische Sozialisation hatten. Für den Fan wird es dann ab der Düsseldorfer Zeit um 1974 am spannendsten. Die Begegnung mit Hütter im Kling-Klang-Studio, die Veröffentlichung von „Autobahn“ und die erste Amerika-Tournee markierten Wegpunkte des damals bereits gesicherten Markennamens „Kraftwerk“, an dessen musikalischem Schaffen Bartos zunächst als Gastmusiker und schließlich als Teilhaber mitwirkte. Er verzichtet dabei zwar weitgehend auf das Waschen schmutziger Wäsche, kommt aber selbstredend nicht ohne Hinweise auf den enttäuschend kühlen Umgang mit bandinternen Absprachen und Verträgen aus, die zum Teil in rechtlichen Auseinandersetzungen endeten.

„Der Klang der Maschine“ orientiert sich durchgängig an besonderen Orten, die trotz der zum Teil fehlenden zwischenmenschlichen Wärme, zusammengenommen zu magischen Orten werden: Kederlehen, Unterbilk, München, die Deutsche Oper, London, New York. Dabei geht Bartos weit über die Jahre mit Kraftwerk hinaus, schließlich handelt es sich um seine Autobiographie. Kraftwerk richten einen großen Lichtstrahler auf Bartos‘ Leben, aber es gibt eben auch Stellen, die bisher wenig ausgeleuchtet wurden. Die verhältnismäßig sachliche und dennoch emotionale Perspektive auf seine Arbeit mit Kraftwerk und den Ausstieg macht das knapp 600 Seiten umfassende Werk dabei zum unverzichtbaren Gegenstück zu Wolfgang Flürs „Ich war ein Roboter“, mit dem der Drummer bereits vor einer guten Dekade für einen eher kontroversen Beitrag zur Bandgeschichte sorgte.

Buchvorstellungen:
16/09/2017 Hamburg – Uebel & Gefährlich (Harbourfront Literaturfestival 2017)
06/10/2017 Essen – Zollverein (LIT.RUHR Literaturfestival 2017)