Nach der verlorenen Zeit: Es verwundert kaum, dass Mr. Vile vermutlich der einzige Mensch auf diesem Planeten ist, der in den letzten zwei Jahren an einem Ort verweilte und gleichzeitig mehr denn je unterwegs war. Wer am laufenden Band so viele tolle Songs raushaut, muss anders ticken als ein Songwriter, der seinen Job einfach nur gut macht. Sein neuntes Album ist eine vertonte Reise um die Welt, die fast ausschließlich in seiner Vorstellungskraft stattfand. Das große Verdienst von „(watch my moves)“ ist aber vor allem die Vermittlung eines Gefühls, das auf dieser Welt immer seltener zu werden scheint: bescheidene Dankbarkeit auf dieser Welt sein zu dürfen.
Meine Lieblingsbeschäftigung ist es heutzutage, morgens nach dem Frühstück am Fenster zu sitzen, Kaffee zu trinken, zu lesen und Sun Ra zu hören, während die Sonne durch die Bäume des Waldes scheint. In diesem Moment ist das alles, was ich je brauchen werde, um zu reisen. Diese Platte verkörpert all das – zwei Jahre verstreichen zu lassen und in meiner Zone zu bleiben, die ganze Zeit zu reisen, in meinem Kopf, am Klavier oder auf meiner Gitarre.
Mehr muss zu „(watch my moves)“ eigentlich gar nicht gesagt werden. Vile schafft es wie immer mit seiner vorgeschobenen Schluffigkeit den Erwartungen ein Schnippchen zu schlagen und den Hörer immer wieder erneut mit einem Songwriting zu überrumpeln, das einen selbst dann umhaut, wenn man mit seinem bisherigen Schaffen vertraut ist. Mit den 15 Songs, die hier versammelt sind, gelingt es Vile, den ganzen Mist da draußen vergessen zu lassen und stattdessen den Fokus auf Begriffe wie Demut, Ankommen, Spiritualität und tiefe Verwurzelung in der Musik zu legen. Wer das in Viles Rhythmus und Tempo nachvollzieht, der wird von schlechter Laune befreit und regelrecht beflügelt, sich von unnötigem Ballast zu lösen. Und nach dem ersten Durchlauf von „(watch my moves)“ wird einem auch direkt bewusst, wie viel unnützer Kram sich da mal wieder angesammelt hat.
12.09.2022 Köln – Gloria Theater
15.09.2022 Berlin – Huxleys