Text: Julian Tröndle, 13. November 2020

Ziemlich genau vor acht Jahren saß ich mit meinem Vater im Auto. Wir waren auf dem Weg ins Schweizerische Aarau zum Konzert der Band Lambchop, die damals mit ihrem Album „Mr. M.“ durch Europa tourten. Ich hatte ihn letztlich zum Mitkommen überreden können, indem ich ihm ihre Musik als Country anpries – ein Genre, für das er aus mir unerklärlichen Gründen einen Spleen entwickelt hatte. Er sah folglich vorfreudig einem Abend mit 4-to-the-Floor-Kontrabass, Banjo-Pickings und wilder Fidelei entgegen und ich hatte nicht die geringste Absicht, diese falschen Erwartungen zu zerstreuen. Immerhin stand meine Mitfahrgelegenheit zur Venue auf dem Spiel! Dass Lambchop auf der Website des Clubs als „Kultband aus Nashville“ angekündigt wurde, spielte mir dabei ganz gut in die Karten. Selbst noch der Moment, da Kurt Wagner und seine Mitstreiter in Karo und Trucker-Caps die Bühne betraten, hielt meinem Täuschungsmanöver stand. Dann aber erklangen die ersten Takte und alles flog auf.

Dass meine List überhaupt funktionierte, verdanke ich vermutlich auch hör- und denkfaulen Musikjournalist*innen, die trotz der vielen soundästhetischen Häutungen, die die Band im Laufe ihrer beinahe 30-jährigen Geschichte vollzog, ihre Musik mit beinahe bösartiger Beharrlichkeit in die Country/Americana-Schublade stecken. Dabei kann eigentlich ihre ganze Karriere – insbesondere die letzten beiden Alben – als eine Reihe zunehmend verzweifelter Versuche betrachtet werden, dieser anachronistischen Kategorisierung zu entfliehen: Auf „FLOTUS“ (2016) und dem im vergangenen Jahr erschienenen „This (is what I wanted to tell you)“ ersetzten sie ihr mit Country assoziierbares Analog-Equipment sogar größtenteils durch Synthesizer und Drumcomputer. Besonders die Experimente mit vocoder-basierter Stimmmodulation wurden dabei seitens der Musikpresse zum skandalösen Stilbruch hochstilisiert, was die Verfasser*innen dennoch nicht davor zurückschrecken ließ, Wagner & Co. im gleichen Atemzug weiterhin als „Säulenheilige des Alternative Country“ zu bezeichnen. Ihr Schubladen-Fluchtversuch schien also trotz radikaler Mittel einigermaßen hoffnungslos.

Mit dem Cover-Album „TRIP“ wagen Lambchop nun dennoch einen weiteren Anlauf, sich des leidigen Images zu entledigen, indem sie ihre vielseitigen musikalischen Referenzen offenlegen. Zwar ist mit der verstorbenen Nashville-Legende George Jones tatsächlich auch ein Urgestein des traditionellen Country vertreten; die übrige Auswahl an Songs lässt hingegen ein überraschend progressives Spektrum an Einflüssen erahnen. Neben Künstlern des experimentellen Indie-Rocks wie Wilco und dem Yo La Tengo Bassisten James McNew wird ebenso den platinschweren Soul-Acts The Supremes („Love is here and now you’re gone“) und Stevie Wonder („Golden Lady“) gehuldigt. Während die Vorlagen dabei meist in den mal folk-inspirierten, mal elektrisierten Blue-Eyed-Soul überführt werden, der bereits die vorangegangenen Lambchop-Alben auszeichnete, sticht besonders der Song „Shirley“ der US-Proto-Punk Band Mirrors aus dem Kontext der Platte hervor: Statt eines Rückgriffs auf den bandtypischen Weichzeichner wurde hier die rumpelige Energie der Vorlage erfrischend ungeschliffen adaptiert.

„TRIP“ wird so zu einem außergewöhnlich heterogenen Hörerlebnis, das in dieser stilistischen Variabilität sogar der Bandbreite seiner zugrundeliegenden Quellen gerecht wird. Ob es Lambchop auf diese Weise aber auch gelingen wird, endlich ihr fossilisiertes Image zu überwinden, bleibt fraglich. Eines jedenfalls ist klar: Wer hier als Musikjournalist*in immer noch ein Alternative-Country Album herauszuhören vermag, sollte dringend eine berufliche Umorientierung erwägen.

VÖ: 13. November 2020 via City Slang