Text: Alex Schulz, 11. Juni 2021

Die Mitglieder von Sonic Youth? Warte mal… das waren doch in jedem Fall Frontfrau Kim Gordon und Gitarrenlegende sowie Ex-Ehemann Thurston Moore. Ach, und da fällt einem nach kurzer Bedenkzeit ja auch noch Lee Ranaldo als kongenialer Gitarrenpartner Moores ein, dessen Name heutzutage merkbar weniger als die Vorgenannten in der Musikpresse kursiert — dessen Legendenstatus aber ebenso zementiert sein dürfte. Nicht ohne Grund haben sowohl Moore als auch Ranaldo ihre eigene Signature-Version der Fender Jazzmaster als größtmögliche Anerkennung spendiert bekommen.

Was machen Künstler wie Ranaldo, die mit einer Band schon alles erreicht haben, mit ihren multiplen Talenten in den späteren Phasen des Lebens- und Karrierepfades? Häufig, wie auch bei dem Release „Churning of the Ocean“, springen letztlich völlig ungezwungene Platten ohne Anspruch auf einen Karriereschub oder eine daraus folgende Live-Tour dabei heraus. Es zeigt sich einmal mehr, dass Ausnahmekünstler sich wie Getriebene auch weiterhin kreativ selbstverwirklichen müssen, um privat überhaupt eine verdiente ruhige Minute einlegen zu können. Ganz nach dem Motto: reiner Müßiggang ist nicht drin, wenn der Beruf auch Berufung ist.

„Churning of the Ocean“ nennt sich das Spätwerk vierer Kreativkollegen um Ranaldo, die sich für das Projekt immerhin einen Albumtitel; vollends ohne Plattitüden aber gar nicht erst einen gemeinsamen Bandnamen ausgedacht haben. Nach einer ersten Platte aus 2019 fanden sich also Lee Ranaldo, Jim Jarmusch, Marc Urselli und Balázs Pándi erneut in einem New Yorker Tonstudio ein, um ein experimentelles Album irgendwo zwischen Filmmusik, Ambient und Jazz aufzunehmen. Die Besetzung für dieses Unterfangen ist dabei hochspannend: zunächst ist nunmal kein geringerer als Lee Ranaldo, neben der Karriere mit Sonic Youth, seit jeher progressives Mitglied der New Yorker Musik und Kunstszene, mit an Bord. Außerdem Jim Jarmusch als mehrfach ausgezeichneter Regisseur des Indie-/Arthouse-Kinos und Komponist von Filmmusik. Dazu Marc Urselli, als dreifach mit dem Grammy prämierter Produzent und(!) damit nicht genug auch noch Balázs Pándi, als hochkarätiger Drummer mit Faibles für Thrash-Metal- bis Jazz-Drumming in unterschiedlichsten Projekten. Der Genremix auf „Churning of the Ocean“ kommt also nicht von ungefähr und verspricht vorab so einiges.

Auf 50 Minuten Länge schlagen dabei insbesondere die Songs „Infinite Rain“ und „Quivering Air“ mit ihren 17 bzw. knapp 19 Minuten ins Gewicht. Überraschen tun die ausufernden Längen jedoch nicht, angesichts der Tatsache, dass sie auf Live-Jams beruhen, die zumal komplett analog als One-Take aufgenommen wurden. Das Resultat ist ein Album für absolute Musikpuristen. Ohne entsprechende HiFi-Ausstattung braucht man sich die Platte vermutlich gar nicht erst zulegen oder digital downloaden. Prunkstück des Ganzen ist zweifelslos „Quivering Air“, auf dem sich Drummer Balázs Pándi ungezügelt austobt und mit den Gitarren Ranaldos und Jarmuschs passagenweise einen absoluten Fiebertraum heraufbeschwört. Der Rest des Albums, auch das ruhigere „Infinite Rain“ bleibt dagegen blasser und strahlt keine wirklich greifbare Stimmung aus. Nichtsdestotrotz ist das Album etwas für alle, die, versunken in die Instrumental-Jams, im Alltag in einer knappen Stunde Auszeit mal einen Gang herunterschalten wollen.

VÖ: 11. Juni 2021 via Trost