Text: Christian Selzer, 08. März 2022

Manchmal gibt es Musik, die dürfte es eigentlich gar nicht geben. Und trotzdem ist es gut, dass sie da ist. Lüning ist so ein Fall. Anfang der Zehnerjahre. Sebastian Lindner (sometree), Tim Kaufmann (Nique), Daniel Spindler und Florian Lüning (Delbo), allesamt keine Unbekannten in Indiedeutschland, gründen eine neue Band. Irgendwie Postrock soll es sein, um alle Vorlieben zu bündeln, vor allem Spaß soll es machen. So zimmert man sich ein extragroßes Schlagzeug in den Proberaum, das Platz für zwei bietet. Der Rest: ein rhythmisierter Fluss aus Instrumenten, angetrieben vom Kraftfeld der Drums. So der Plan. Man nimmt alles auf, wirbelt Ideen durcheinander, stellt sie wieder auf den Kopf. Langsam kristallisiert sich das heraus, was der Sound der Band einmal hätte sein können. Doch dann stirbt Schlagzeuger Florian Lüning völlig unerwartet im Mai 2012. Dies bedeutet auch das Ende der Band.

Über die Proberaum-Aufnahmen, die in dieser Zeit entstanden sind, stolpert man erst viele Jahre später, im ersten Corona-Lockdown 2020. Tobias Siebert, Produzent und Ex-Bandkollege von Flo, mischt das Material ab. Die sieben Tracks sind jetzt auf „Live in Rummelsburg” zu hören.

Das Genre: Instrumental-Postrock im weiteren Sinne, garniert mit Einsprengseln von Kraut, Art-Rock und Indie. Deutlich hört man, dass die Songs mit dem Konzept im Hinterkopf geschrieben wurden. In immer neuen Verästelungen und Schichten setzen sie sich zusammen, Motive werden angespielt, zerlegt und breit gestreut. Trotzdem schlagen die Arrangements genügend Funken, um aus jedem Takt die Leidenschaft für ausufernde Improvisationen im Proberaum herauszuhören. Sogar Acid-artige Leads schmatzen zufrieden im bunten Experimentierkasten von Lüning, wie der Opener „I Am Battle” zeigt. „Babysitter” beweist mit Um-die-Ecke-Riffs, stoischen Basslines und vertrackten Grooves, dass Denkerfalten und Arschwackeln sich nicht gegenseitig ausschließen. „La Palma” startet mit Synthiefanfaren in der Großraumdisco, lädt sich dann elektrisch auf und verschwindet mit britzelndem Bass zur Afterhour.

„Live in Rummelsburg” ist das Debüt von Lüning und wird leider auch die letzte Veröffentlichung bleiben. Auch wenn die Tracks an einigen Stellen etwas skizzenhaft sind, kann man sich vorstellen, wie diese herzliche, verspielte, ideenreiche Musik die deutsche Indieszene noch bereichert hätte. Gut, dass es sie gibt.

VÖ: 22. Februar 2022 via Lüning