Text: Alex Beyer, 20. Oktober 2017

Eine neue Ära des Psychoverse ist angebrochen. Mal wieder. Diese Band ist einfach nicht tot zu kriegen. Motorpsycho sind vielleicht eine der wenigen Formationen dieses Planeten, die sich auch beim 18. Studioalbum noch einmal neu erfinden kann. Im gefühlten Einfach-so-Modus. Oder besser gesagt, auf alles noch eine Schippe oben drauf packen, stapeln und abliefern, was das Zeug hält, das wird schon halten und tatsächlich: Am Ende kommt der Albumtitel nicht von ungefähr. Noch extremere Kontraste, noch mehr „Psychoness“, noch mehr Überlängen und deshalb natürlich noch mehr Tonträger, denn „The Tower“ ist ein Doppelalbum geworden. Fair enough.

Es ist der erste Output mit neuem Schlagzeuger Tomas Järmyr, der gemeinsam mit Bent Sæther und Hans Magnus Ryan als Protagonist in einem Eldorado aus Prog-Gewitter, monumentalen Soundwänden, detailverliebten Arrangements, kompromisslosen Gitarrenbrettern, emotionalen Melodiengefügen, feinfühlig wie markantem Satzgesang und phänomenalen Dynamikwechseln auftritt. (Diese Aufzählung ist selbstredend um zahlreiche Superlative erweiterbar.) Für den bekennenden Psychonauten klingt das allenfalls beruhigend, stellt ein personeller Eingriff in ein derartiges Bandmonument doch immer ein gewisses Wagnis dar, insbesondere bei dem von Drummer Kenneth Kapstad hinterlassenen Erbe. Fakt ist aber: „The Tower“ übertrifft in seiner Wirkung alle Erwartungen.

Der Turm ist quasi zweigeteilt, genau wie auch die Entstehung der Songs. „Brutal Stuff“ trifft auf „laid back material“, wie Motorpsycho bereits im Vorfeld durchsickern ließen. Dieser Umstand ist unter anderem auch maßgeblich für die anspruchsvollen und extremen Dynamikkontraste der Platte verantwortlich. So trifft der Brecher „Bartok of the Universe“, der in seinen Spitzen gleich zu Beginn gemeinsam mit dem Titeltrack die geneigte Hörer-Kinnlade mit kolossaler Riff-Breitseite tief fallen lässt, auf die epische 15-Minuten-Offenbarung „A Pacific Sonata“, die sich vorsorglich auf Platte Nummer zwei befindet. In der Tat nehmen Motorpsycho hier eine Art räumliche Trennung zwischen den Extremen vor: Kommt der erste Teil von „The Tower“ mit Ausnahme des zart besaiteten „Stardust“ noch durchaus aggressiver daher, empfängt die Fortsetzung den Hörer mit versöhnlicheren Tönen. Doch der Schein trügt.

Wer etwa mit einer Schmuse-B-Seite rechnet, dem knallt „The Cuckoo“ nach kurzem Antäuschen unvermittelt das Gegenteil an den Kopf. Überhaupt spielt die Band sehr erfolgreich mit dem Überraschungsmoment ihrer effektvoll konzipierten Lautstärkeschwankungen. Neben Vielfalt der Kompositionen und einem erneut unfassbar auf den Punkt eingespielten Musikergefüge offenbart dieser Drive mal wieder eindrucksvoll eine der größten Stärken des Trios. Derzeit sind Motorpsycho auf ausgedehnter Europatour. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass all das hier Hervorgehobene live noch intensiver zur Geltung kommt – ja, das geht tatsächlich. Objektives Urteil? Nicht doch. Jeder allerdings, der einmal dieses Psychoversum als überzeugter Besucher betreten hat, weiß, dass es hier auf Seiten des Publikums nur innige Liebesbriefe oder grenzenlos-konfuse Überforderung geben kann. Möge dieser Wahnsinn in jedem Falle noch lange anhalten.

20/10/2017 Hamburg – Markthalle
21/10/2017 Papenburg – Kesselschmiede
22/10/2017 Bremen – Schlachthof
30/10/2017 Frankfurt – Zoom
08/11/2017 Köln – Stollwerk
09/11/2017 Leipzig – Conne Island
10/11/2017 Berlin – Festsaal Kreuzberg
11/11/2017 Hannover – Faust

VÖ: 08. September 2017 via Stickman Records