Text: Patricia Leuchtenberger, 11. Juli 2022

Die britische Musikszene hat der deutschen nicht nur einige bedeutsame Genres und Vertreter voraus, sondern auch den bezeichnend charmanten britischen Akzent, der ihren Songs den letzten Feinschliff zur Authentizität gibt. Davon macht auch die Post-Punk Gruppe Mush aus Leeds Gebrauch und findet in ihrem dritten Studioalbum geschickt in düstere Lebensrealitäten zurück.

Zwei Gitarren, Drums, ein Bass, ein Sänger. Die Aufstellung hat sich nicht verändert, dagegen wird die Band nach dem plötzlichen Tod des Gitarristen Steven Tyson mit Myles Kirk neu bestückt. Und das Thema Tod wird gleich am Anfang des Albums ausführlich in mehreren Kontexten behandelt.

Der Song „Grief Train“ erzählt von Trauer und Verlust in entspannter Atmosphäre. Klanglich bewegt er als auch die gesamte erste Hälfte des Albums sich nah an dem punkigen, lauten Vorgängeralbum „Lines Redacted“, das von den Kritikern hochgelobt wurde. Weiter wird die Thematik „Tod“ mit dem zweiten Kernthema „Arbeit“ in „Karoshi Karaoke“ verbunden. Karoshi bezeichnet das Phänomen, von Überarbeitung zu sterben. Gitarren wechseln mal mehr, mal weniger harmonisch zwischen vier Akkorden, der Rhythmus verharrt ähnlich gemütlich. So fühlt man sich selbst zwischen belastenden Texten wohl und auf eine Art geborgen. Der dritte Track „Get On Yer Soapbox“ sticht mit fünf Minuten Länge und ausgiebigen Gitarrensoli aus der Harmonie heraus. Leadgitarrist und Sänger Dan Hyndman sagt selbst zu der ersten Single-Auskopplung, dass er die Tonabfolgen mit größter Wahrscheinlichkeit live nie genau so spielen könnte, da die Soli improvisiert wurden. Weiter geht es mit Indie-Melodien zum bezeichnendem Bruch, der mit „Inkblot and The Wedge“ etwa zur Mitte des Album einher geht. Ab hier experimentieren die vier Köpfe mit verschiedenen Rhythmen und Gitarreneffekten, zum Ende hin schreit Hyndman nach den einhämmernden Lyrics you fear sogar leidenschaftlich ins Mikrofon. Während diese Variation in der zweiten Hälfte zunimmt, bietet einen solchen Ausbruch zum Ende des Songs sonst nur noch der letzte und namengebende Track „Down Tools“, der sich zuerst ruhig gibt und zum Abschluss des Albums mit entfremdeten, rauschenden und quietschenden Gitarren und einem eindringlichen Bass-Loop aufbäumt und den Hörer verblüfft zurücklässt.

Der Gesang Hyndmans erinnert mit seinen Sprecheinlagen stark an King Krule, wobei der Klang, vor allem wegen der dominierenden Gitarren, sich an dem 90er-Post-Punk der Gang of Four orientiert. Ineinander gewobene Gitarren spielen an mancher Stelle drunter und drüber und beinahe könnte man denken, die Band verliere den Anschluss zum Album, bevor sie sich wieder in eiserne Songstrukturen retten können. Einige wenige Punkrock-Ansätze können sofort rausgehört werden, doch eine klare Linie ist auch nicht der Anspruch von Mush. Zu deutsch Pampe macht die Band ihren Namen alle Ehre, denn die Punk-, Rock’n Roll- und Grunge-Einflüsse sprudeln zum Ende der Platte überall hervor, verlieren jedoch nie an Sinn und erlauben es sich nicht, übermütig zu werden. Lee Smith und Jamie Lockhart, Betreiber des Greenmount Studios in Leeds, gewährten der Gruppe jede Art von musikalischer Freiheit, welche den plötzlichen Drang zum Experimentieren der Band erklären.

Individuelle Emotionen werden auf „Down Tools“ kleingeschrieben, es geht um gesamtgesellschaftliche Eindrücke. Mush schafft es, sich teilweise von ihrem alten Sound loszusagen und verpackt ihre, aber letztendlich die Lebensrealitäten eines jeden Menschen in ausgeklügelte, schmunzelnde Metaphorik, sodass sich wohl der niedergeschlagenste Mensch zu diesem Album wieder aufrichten kann.

24.10.2022 Berlin – Schokoladen
25.10.2022 Halle – Hühnermanhattan
27.10.2022 Hamburg – Aalhaus

VÖ: 08. Juli 2022 via Memphis Industries