Text: Oliver Schröder, 03. Dezember 2021

„Es ist, wie wenn deine Kinder mit 23 endlich ausziehen und du bemerkst, dass das schon viele Jahre früher hätte passieren sollen!“ – Wenn Nils Frahm sich von altem Ballast trennt, kommt dabei nicht nur gleich ein ganzes Doppelalbum rum, sondern auch noch eins, das den Hörer unverzüglich aus dem Spiel nimmt wie eine Spielfigur beim Schach. Sogleich wird er auf dem Fensterbrett platziert, auf dem er als stiller Beobachter für den Rest der Zeit auf diese verrückte Welt blicken darf.

Gar nicht so einfach den Überblick zu behalten, wenn man sich Frahms Veröffentlichungen der jüngeren Vergangenheit ansieht. „All Melody“ ist als letztes Neuwerk mittlerweile auch schon drei Jahre alt. Seitdem gab es Kollaborationen, Rückblicke und Zugaben. Auch „Old Friends New Friends“ ist kein reguläres neues Album, sondern eine Entrümpelung – wenn auch eine auf hohem Niveau. 23 Klavierstücke hat der Ausnahmekünstler während der Pandemie zusammengestellt. Auch wenn das älteste Stück bereits aus dem Jahr 2009 stammt, lässt sich an keiner Stelle ein musikalischer Bruch feststellen. Künstler und Instrument bilden eine Klammer, die ausreicht, um diese knapp 80 Minuten als Gesamtwerk zusammenzubinden. Und das ist nicht weniger großartig als jedes herkömmliche Album, das nun vielleicht in den Startlöchern stünde, hätte es diesen Stillstand nicht gegeben.

Und während wir da so auf der Fensterbank stehen, scheint es gar nicht mal mehr so schlimm zu sein, dass sich der Blick in die Zukunft trüb ist. Ein klarer Blick zurück reicht für den Moment vollkommen aus.

VÖ: 03. Dezember 2021 via Leiter Verlag