Text: Alex Schulz, 06. April 2021

Unaufgeregter Indietronic ist so ein Auswuchs aus der Musikszene der Neunziger, den viele noch immer tief im Herzen tragen. Das irgendwie warme Knarzen, Knistern, Scheppern. Diese zwischenzeitlichen Plings und Plongs – Geräusche, die sich im Sound von Bands wie den vielzitierten The Notwist manifestierten und international womöglich mit dem Erfolg von The Postal Service Anfang der Nullerjahre gipfelten.

Wenn auch nicht mehr so präsent wie damals, bewahren auch knapp zwei Jahrzehnte später wackere Künstler derartige Tüfteleien aus dem Klanglabor vor dem Schicksal als Relikt vergangener Zeiten. Völlig zurecht, möchte man sagen. Denn allein schon im Hinblick auf die schier unaufhaltsame Digitalisierung, wirkt der Sound so gar nicht aus der Zeit gefallen.

Oh No Noh zählt zu den modernen Wächtern des so liebenswerten Soundgefrickels und knüpft dazu noch thematisch am maschinellen (Eigen-)Leben auf unserem Planeten an. Kürzlich ist nach der selbstbetitelten EP aus 2019 der erste Langspieler des experimentierfreudigen Künstlers erschienen. Das Album „Where One Begins And The Other Stops“ zieht seinerseits viel Inspiration aus der Pioniersarbeit Martin Gretschmanns, bis 2015 Mitglied bei The Notwist, und rühmlich ausschlaggebend für das Anhängsel -tronic in Indietronic. Einzig dessen Nachfolger, Cico Beck, könnte mit seinem Projekt Joasihno sogar noch maßgeblicher für Oh No Noh sein. Schließlich verfügen beide Bands seit 2019 über die neue Wunderwaffe für Soundtüftler: das Automat Toolkit von dadamachines, einem ehemaligen Crowdfunding-Projekt, erlaubt das robotisierte Bespielen von bis zu zwölf Gegenständen aller Art. Einfach perfekt für das Projekt Oh No Noh, mit dem der Musiker Markus Rom ohnehin eine One-Man-Indietronic-Band auf die Beine stellt.

Ein Besuch in dessen Proberaum im Leipziger Westen zeigt, Rom entwickelte dadamachines Midi-Controller als seine erweiterte Gliedmaße sogar noch weiter. Für Live-Auftritte lassen sich einprogrammierte Sequenzen per Fußpedal einsteuern, sodass auf Kommando eine Reihe von Elektromagneten gezielt Münzen klappern oder eine Fahrradklingel bimmeln lassen. Aber auch konventionelleres Equipment wie Klangschalen oder eine kleine Snare lassen sich über Elektroimpulse ansteuern und automatisieren.

Im ersten Eindruck beruht die Instrumentalmusik Oh No Nohs in ihrem Charme auf eben diesen feinfühlig eingestreuten Sequenzen, die die abundant vorhandene analoge Technik (inklusive herrlichem Kabelwirrwarr) ermöglicht. Verbunden und getragen werden die Passagen indessen vor allem von Markus Roms reduziertem, harmonischem Gitarrenspiel. Auf diese Weise entstehen sieben entspannt-nachdenkliche Songs, die schon allein deshalb Spaß machen, weil zu jeder Zeit über den mehr oder weniger banalen Ursprung einzelner Klänge gerätselt werden darf.

Oh No Noh bedient sich analoger Tontechnik, die das Herz eines jeden inneren Nerds höherschlagen lässt und sich im Gestaltungspielraum als nahezu unerschöpflich erweist. Neben dem Automat Toolkit spielt beispielsweise auch ein mehrspuriges Tapedeck mit Kassettenband als Loop von Stimm- oder Synthie-Aufnahmen eine Rolle. Produktionsmittel wie diese bergen eine unmittelbarere, innigere Komponente, die die Maschine näher am Menschen stehen lässt als mit rein digitalen Pendants. Ein weiterer Wink auf das Leitthema des Albums, so wie es scheint.

Als Anspieltipps sollen das einprägsame „Shrugging“, das experimentelle „Golb“ und der melancholische Titeltrack „Where One Begins And The Other Stops“ mit auf den Weg gegeben werden. Wer zudem noch die Musikvideos schaut und (hoffentlich bald) die Chance erhält Oh No Noh live erleben zu dürfen, wird sich erinnert fühlen an die Faszination des Gewimmels und Gewusels wie sie sonst nur Orte wie das Miniatur Wunderland Hamburg oder das alljährliche Weihnachtsschaufenster der Steiff-Plüschtiere in der Ladenzeile hervorzurufen vermögen.

VÖ: 26. März 2021 via Teleskop