Text: David Maneke, 02. September 2022

Hendrik Weber, besser bekannt unter seinem Pseudonym Pantha Du Prince, hat sich im Laufe der letzten Dekade von einem Kritikerliebling der elektronischen Musik zu einem konsensuell hochgeschätzten Gesamtkünstler entwickelt. Die Veröffentlichung von „Black Noise“ und ihre Besprechung in den Feuilletons hat im Jahre 2010 dafür gesorgt, dass Pantha Du Prince auch außerhalb des szenisch bisweilen recht engen Korsetts der Clubkultur wahrgenommen wurde.

Die folgenden Veröffentlichungen waren dann jeweils von eng gefassten, mit reichlich Detailtiefe auskomponierten, künstlerischen Ideen geprägt – am offensichtlichsten auf der „Elements of Light“, die in Zusammenarbeit mit dem norwegischen Bell Laboratory entstanden ist (und, diese Blüte sei der Unterhaltung halber zitiert: Die dazu geführt hat, dass der Rolling Stone Weber nur halb ironiefrei als den „kleinen Prinz der elektronischen Konzeptmusik“ bezeichnet hat) und auf der „429 Hz Formen von Stille“, die sich schon recht weit von etablierten Hörgewohnheiten entfernt bewegt, und folgerichtig auch unter Webers bürgerlichem Namen veröffentlicht wurde; auch generell mehr den Charakter von E-Musik trägt.

Seit einer guten Woche ist das Album draußen und führt zunächst einmal eine naturwissenschaftliche Motivik weiter, die im Schaffen von Pantha Du Prince seit einiger Zeit maßgeblich ist. Es handelt sich hierbei, fahrlässig grob vereinfacht, um das Unterfangen, das Verhältnis von Mensch und Natur musikalisch abzubilden. Weber ist dabei sinnigerweise vom Kleinsten ins Größte gewandert, hat sich zunächst dem Licht (Elements of Light) gewidmet, einige Jahre später dann die Kommunikation von Bäumen musikalisch interpretiert. Nun steht der Blick auf Gaia an, in der griechischen Mythologie niemand geringeres als die personifizierte Erde.

Diese Beweisführung ist nun zugegebenermaßen etwas simpel, aber es ist ein ästhetischer Erklärungsansatz, um Webers Abkehr eines gar zu strengen konzeptionellen Korsetts zu erklären. Man hört nicht erst seit „Garden Gaia“, dass Hendrik Weber nicht nur gedankliche Tiefe erreicht, sondern dass auch der im weiteren Sinne handwerkliche Teil seiner Produktionen herausragend ist. Dennoch legt er großen Wert darauf, dass der Entstehungsprozess einer inneren Harmonie folgt, beschreibt den Entstehungsprozess von „Garden Gaia“ rückblickend als selbstverständlich. Das wirkt erstaunlich, denn „Garden Gaia“ ist alles andere als ein homogenes Album.

Anders als bei den bisherigen Veröffentlichungen lotet Pantha Du Prince auf „Garden Gaia“ auch mal aus, wie viel Freiheit in der Ausdrucksform er sich eigentlich selber erlaubt – „Liquid Lights“ zum Beispiel hätte grundsätzlich auch auf dem deutlich homogeneren „Black Noise“ (musikalisch!) seinen Platz gefunden und wäre dort nicht untergegangen, wohingegen sich die musikalisch unglaublich dichte und facettenreiche Naturmeditation alles fühlt eher am anderen Ende von Webers bisherigem Œuvre verorten lässt. In manchen Momenten fühlt sich „Garden Gaia“ deshalb an wie ein Spiel an, das Weber mit seinen Zuhörern treibt; wer nicht aufpasst, könnte vielleicht den Gedanken haben, dass das Album streckenweise wie eine kleine Werkschau wirkt.

Gerecht würde das der Platte nicht, denn dazu muss man „Garden Gaia“ auch in einem größeren Kontext betrachten, um die ganze, unermessliche Tiefe – nicht nur des Albums, sondern das ganze Werk von Pantha Du Prince – zu erfassen. Denn wie nur ganz wenige Künstler gelingt es ihm seit jeher, eine sehr spezifische, undurchdringlich dichte Atmosphäre zu erzeugen. Spätestens seit „Saturn Strobe“ auf dem 2007er-Album „This Bliss“ schwebt Pantha Du Prince über den weltlichen Dingen, und richtet seinen Blick zunehmend in die Natur.

Und mit jeder Veröffentlichung gewinnt dieses Talent für Atmosphäre Schicht um Schicht. Diese Erfahrung wird auf „Garden Gaia“ ausgespielt, sei es durch Field Recordings, dem fast schon lächerlich souveränen Umgang mit Glocken, Streichern – man kann es in Worte nicht fassen, denn das atmosphärische Ganze ist bei Pantha Du Prince mit Sicherheit mehr als die Summe seiner Teile. Und auch wenn „Garden Gaia“ als Gesamtes bei all seiner Vielfalt weniger intuitiv zu hören ist, als die Vorgängeralben, so ergibt sich nach ein paar Durchläufen doch ein umso runderes Porträt der Vielfalt, die uns in der ganz großen Perspektive das Leben grundsätzlich erstmal ermöglicht.

VÖ: 26. August 2022 via BMG