Text: Julian Tröndle, 15. Januar 2021

Vor etwa zwei Jahren, im sorglos präpandemischen März 2019, besuchte ich einen guten Freund in Brighton. An einem der Abende gingen wir zum Konzert der US-amerikanischen Band Pinegrove, die damals mit ihrem aktuellen Album „Skylight“ durch Europa tourten. Ich hatte mich vorher sporadisch in den wortreichen Emo-Indie der Band eingehört, der auf eine charmante Art irgendwo in den 00er-Jahren steckengeblieben schien. Die Musik war also ideal, um alkoholisch nostalgisiert auf eine Zeit anzustoßen, in der man sich nach der Schule im Freibad traf – die aktuelle Visions auf dem Handtuch, die Weakerthans oder Death Cab For Cutie aus den überforderten Handyboxen.

Mit dieser imaginären und grob überzeichneten Jugenderinnerung – Printmedien, traurige Jungs, Gitarren-Indie – wäre zumindest schemenhaft ein Setting heraufbeschworen, in der sich die Musik von Pinegrove ästhetisch verorten lässt; dem Songwriting der Band um Frontmann Evan Stephens Hall und Drummer Zack Levine wird man mit solch faulen Referentialisierungen aber kaum gerecht: Entdeckt man nämlich die Strukturen hinter der unmittelbaren OCC-Fassade, eröffnet sich plötzlich eine sounduntypische Experimentierfreude, für die sich allen voran die rhythmische Komplexität der Songs verantwortlich zeichnet: Durch das offenkundige Mitspracherecht ihres Drummers scheint es Pinegrove nahezu unmöglich, klassische 4/4-Songs ohne abrupte Takt- und Tempowechsel zu schreiben. Evan Stephens Hall singschreit sich durch das dabei entstehende rhythmisch-eruptive Dickicht mit manisch ausufernden Lyrics, die in ihrer kaskadenartigen Wortdichte lediglich mit der narrativen Großzügigkeit von Matthew Milla und dessen Band Frontier Ruckus vergleichbar sind.

Diese musikalische Formel prägt nun auch „Amperland, NY“, die neue Song-Sammlung von Pinegrove. Sie ist als Abschiedsgruß an ihre gleichnamige Wohn- und Arbeitsstätte gedacht, aus der die Band aufgrund eines Verkaufs durch die Mieter 2020 herausgekündigt wurde. Die Sammlung umfasst dabei Songs der gesamten zehnjährigen Bandgeschichte und wird visuell von einem Film der befreundeten Musikerin und Regisseurin Kenna Hynes begleitet, der im Vorfeld zum Albumrelease Premiere feierte. Wer aufgrund dieser emotionalisierten Entstehungsgeschichte nun aber allzu sentimentalen Weltschmerz-Kitsch erwartet, täuscht sich. Das Ergebnis, so Hall, sei vielmehr eine mindestens so hoffnungsvolle wie nostalgische Hommage an einen liebgewonnenen Ort der kollektiven Kreativität:

I wanted to make something musical, colorful, textural, & narrative that traversed the ups and downs of what our music is trying to do […]. It’s a lot of things, but in essence, it’s a collection of performances of these rock songs framed & threaded by a surreal, giddy narrative.

VÖ: 15. Januar 2021 via Rough Trade Records