Text: André Habermann, 17. November 2020

Mit mystischem Geklöppel, orchestral geprägtem Kirchenchor und ganz viel Epos meldet sich Islands Vorzeigeband zurück. Die Rede ist natürlich von Sigur Rós. Ganze sieben Jahre nach ihrem brachialen Longplayer „Kveikur“ und dem kürzlich erst veröffentlichten Soloalbum von Jónsi, kündigt die Band mit „Odin’s Raven Magic“ nun endlich ein neues Werk an.

Aber so neu ist „Odin’s Raven Magic“ gar nicht. Die vertonte Kollaboration mit Maria Huld Markan Sigfúsdóttir, Hilmar Örn Hilmarsson und Steindór Andersen wurde bereits im Jahre 2002 vom Reykjavik Arts Festival in Auftrag gegeben, letztlich aber nur wenige Male aufgeführt. Danach verschwand die Rabenmagie wie von Geisterhand – um jetzt, 18 Jahre später, endgültig auf Polyvinylchlorid verewigt zu werden.

Laut der Legende entstand das Werk aus Hilmarssons langjähriger Faszination für ein bestimmtes Kapitel des isländischen mittelalterlichen literarischen Kanons, die Edda, mit dem Titel „Hrafnagaldur Óðins“ (Odins Rabenmagie), benannt nach den beiden Raben des nordischen Gottes, die über die Erde flogen, um die Erde zu vermessen und Informationen zu ihm zurückzubringen. Das Gedicht erzählt von einem Festmahl der Götter, bei dem unheilvolle Zeichen das Ende der Welt, sowohl der Götter als auch der Menschen, ankündigen. Im Jahr 1867 wurde das Gedicht als Fälschung beurteilt, aber dann, im Jahr 2002, wurde es von Gelehrten jedoch erneut als offizieller Zusatz zur Edda aus dem 14. Jahrhundert ratifiziert. Hilmarsson dazu:

‚Hrafnagaldur Óðins‘ hat viele Interpretationen und Implikationen, die die Vorstellungskraft beflügeln… Es ist ein sehr visuelles Gedicht, mit Bildern, in denen es nur darum geht zu fallen, und einer von Norden nach Süden erstarrenden Welt. Es war eine apokalyptische Warnung. Vielleicht haben die Menschen dieser Zeit sie in ihrer Haut gespürt. Heute ist Island natürlich in Umweltfragen rund um die Wasserkraft und die Zerstörung des Hochlands involviert. Wir werden erneut gewarnt.

Mit „Stendur æva“ wurde jetzt schon ein erster Vorbote veröffentlicht. In dem knapp zehnminütigen Stück treffen die ungleichartigen Stimmorgane von Steindór Andersen und Jónsi aufeinander, um zum Ende hin von einem epischen Chor verschlungen zu werden. Für die orchestralen Klänge zeichnen sich das ehemaligen Sigur Rós-Mitglied Kjartan Sveinsson und Maria Huld Markan Sigfúsdóttir (amiina) verantwortlich. Und das oben genannte Geklöppel ist übrigens der Klang einer fünfoktavigen Marimba, die vom Bildhauer und Künstler Páll Guðmundsson aus grob behauenen Steinstücken gebaut wurde. Alles andere wäre auch zu trivial.

VÖ: 04. Dezember 2020 via Krunk