Wollte man Sonic Death aus St. Petersburg in Gänze irgendwo einkategorisieren, man müsste schon einen reichlich weit hergeholten Vergleich bemühen, um Vielfalt, Werk und was man von außen als Funktionsweise beobachten könnte, unter einen Hut zu bringen; und würde sich am Ende doch nur wieder eine ganz besonders steile These zurechtlegen – Sonic Death können für die westeuropäische Perspektive auf russischen Punk vielleicht das sein, was Dir En Grey in den Nullerjahren für die westeuropäische Perspektive auf japanischen Progressive-Metal war. Diese These hinkt natürlich gewaltig und sagt am Ende mehr über den Verfasser dieser Zeilen als über die Bands als solche. Pro Forma sei nun auch erwähnt, dass musikalisch Welten zwischen diesen beiden Beispielen liegen. Warum also diesen lächerlich weit hergeholten Vergleich überhaupt bemühen?
Dazu muss ich vielleicht kurz die ursprüngliche Assoziation herleiten: als ich ums Jahr 2004 herum das erste Mal von Dir En Grey hörte, habe ich mich unheimlich schwer damit getan, überhaupt irgendwelche Informationen über die Band zu finden, und das exakt gleiche Problem besteht nun auch mit Sonic Death. Außer dem Artikel vom hiesigen Hausherr André Habermann aus dem Jahr 2018 hat eine (zugegeben sehr eilige Kurz-)Recherche keine verwertbaren Ergebnisse geliefert. Dazu kommt die sprachliche Barriere – mein Russisch beschränkt sich auf die Zählweise „Ras, Dwa, Tri“; von Viktoria Fersh im Refrain von Rammsteins Moskau gesungen; und Japanisch kann ich nicht mal das. Das bedeutet natürlich, dass mir die Texte völlig unzugänglich sind. Und so kann man beide Bands auch mit gewissem Recht als schmerzliche Erinnerung daran lesen, dass unsere (west-)europäischen Hörgewohnheiten strukturell eurozentriert geprägt sind.
Trotz allem, und auch das wiederholt sich in meinen Erfahrungen, haben mich Dir En Grey damals (ganz ehrlich: nur für kurze Zeit, das aber stark) und Sonic Death heute atmosphärisch unheimlich in den Bann gezogen. Sonic Death haben überdies einen enormen Output: auf Spotify und Bandcamp sind – nach zehn Jahren Veröffentlichungsgeschichte – Stand heute, mindestens 15 Alben gelistet! Konstant durchs Werk zieht sich dabei ein eiserner Pessimismus, wie dieser sich aber musikalisch materialisiert ist erstaunlich vielfältig.
Die aktuelle Neuerscheinung heißt schlicht und einfach „Lärm“. Die EP ist nicht mal acht Minuten lang, und die drei enthaltenen Tracks stammen doch irgendwo aus unterschiedlichen Universen. Das auf Deutsch gesungene „Der Tag des letzten Echos“ ist das Liebeskind von Achtziger-Punk und dieser düster-endzeitlichen Cinematografie, wie sie in „Stalker“, oder – weniger bekannt – „Die Letzte Rache“ geprägt wurde. Hätten Torpedo Moskau den Soundtrack zu einem dieser Filme gemacht, er hätte so klingen können.
Dahingegen ist „Lärm“ genau das: Lärm. Im Wesentlichen kennen wir diesen Track seit Lou Reeds 1975er-Platte „Metal Music Machine“. Sonic Death ergänzen lediglich ein homöopathisches Maß an musikalischem Dekor – Pierre Pinoncelli hat mal wieder in die Fountain gepieselt. Beschlossen wird die EP mit dem russischen „Protev sovremennoggo Mira“, einem Track, der wiederum überhaupt keine offensichtlichen Vorbilder vor sich hin führt – wohl aber Bedrohung und Düsterkeit transportiert, diesmal aber nicht so hymnisch wie der Tag des letzten Echos, und auch nicht unter Bedienung einer technokratisch-kalten Ästhetik, wie sie uns „Lärm“ ins Gesicht prügelt; Sonic Death wirken auf „Protev“ so verwundbar wie selten.
Am Ende bleibt ein tief deprimierter Hörer zurück, aber die Ästhetik wirkt. Atmosphärisch ist „Lärm“ beeindruckend dicht. Das bisschen Eklektizismus der Gesamtkuration stört hier übrigens niemanden – eine EP ist ja irgendwo immer auch eine Art Werkschau. Ob es der beste Tonträger ist, um sich Sonic Death anzunähern, sei nun einmal dahingestellt, dass man im ausladenden Œuvre der Band allerdings massenhaft sehr wohl gepflegten Wave-Punk finden kann, sollte Ansporn genug sein.
P.s.: Putin ist eine Ente.